NICOLA LIEBERT ZUR VOM US-SENAT BESCHLOSSENEN FINANZMARKTREFORM
: Kettensäge im Aktenschrank

Das neoliberale Zeitalter ist noch nicht vorbei. Jetzt werden die Böcke zu Gärtnern ernannt

Vor einiger Zeit ging in den USA ein Foto durch die Presse: Darauf waren Banker und Politiker zu sehen, die sich mit Kettensägen und Heckenscheren daran machten, gerade erst aufgehobene Vorschriften und Gesetzestexte symbolisch zu zerschreddern. Seht her, sollte es heißen, wir befreien den Finanzsektor von überflüssigen Fesseln. Mit ihren „innovativen Finanzprodukten“ würde die Branche den entwickelten Volkswirtschaften zu ungeahnten Produktivitäts- und Wohlstandsfortschritten verhelfen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Finanzmarktreform, die jetzt vom US-Kongress verabschiedet wurde, an diesem Bild etwas ändern wird. Das neoliberale Zeitalter mit seiner blinden Gläubigkeit an Unfehlbarkeit und Effizienz der Märkte, das unter Präsident George W. Bush seinen vorläufigen Höhepunkt fand, ist noch lange nicht vorbei. Nein, dieses neue Gesetz kann ein Vierteljahrhundert Deregulierung nicht rückgängig machen.

Wird es die Welt wenigstens ein bisschen sicherer machen? Zweifel sind angebracht. Die Finanzmarktaufsicht bleibt zersplittert wie eh und je. Mehr Transparenz, bessere Risikobewertung durch Ratingagenturen, ein TÜV für die Zulassung immer komplexerer Finanzprodukte – Fehlanzeige. Banken brauchen keine Entflechtung zu fürchten und keine kostspieligen Kapitalreserven zu bilden. Dem global vernetzten Finanzmarktkapitalismus wird kein Haar gekrümmt.

Dass liegt nicht nur am erfolgreichen Lobbying der betroffenen Branche. Es liegt auch daran, dass jetzt dieselben Leute die Märkte zähmen sollen, die jahrelang das Gegenteil taten – im festen Glauben, dass der Markt gut ist und die staatliche Bürokratie schlecht. Auch in der EU werden die Reformkommissionen gerade mit lauter Finanzmarktvertretern besetzt. Die Böcke werden weiter zu Gärtnern ernannt.

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