Versaut uns das Internet den Urlaub?
JA

ERREICHBARKEIT Die Facebook-Fotos schon im Hinterkopf, die Chef-Mails auf dem Smartphone. Ferien in fast funklochfreien Zeiten können stressig sein

Alex Rühle, 41, ist Journalist und Autor von „Ohne Netz – Mein halbes Jahr offline“

Es war auf Elba. Ich dachte, ich lass diese saublöde Kiste namens Blackberry jetzt mal zu Hause. Zwei Wochen ohne meinen kleinen Egovibrator, das werde ich ja wohl schaffen. Von wegen. Es war wie kalter Entzug. Am dritten Tag entdeckte ich das Internetcafé. Natürlich nicht zufällig, ich hatte während des ganzen Spaziergangs nach nichts anderem Ausschau gehalten. Da! Endlich! An einer Schaufensterscheibe klebte ein gelbes @-Zeichen. Nebenan war ein Zeitungsladen, und ich schickte die Familie schon mal voraus mit der Ausrede, ich wolle kurz mal in die deutschen Zeitungen kucken. Von da an bin ich unter absurden Vorwänden – „Wir brauchen Crème fraîche!“ „Aber wir haben doch noch Crème fraîche.“ „Dann Tomaten.“ – alle zwei Tage ins Dorf geschlichen, um kurz meine Mailbox zu öffnen. Keine der Mails musste unbedingt beantwortet werden. Ach was, keine der Mails musste überhaupt beantwortet werden. Ich hab’s trotzdem getan. Und mir einmal mehr die Ferien versaut. Nach diesem Urlaub habe ich beschlossen, eine radikale Fastenkur zu machen.

Hartmut Rosa, 44, ist Soziologe und fordert eine Entschleunigung derGesellschaftNatürlich versaut uns das Internet den Urlaub. Alles, was wir tun können, ist auszusuchen, wie: Wir können versuchen, auch in den Ferien immer auf dem Laufenden zu bleiben. Der Preis: Wir kommen überhaupt nicht zum Abschalten. Oder wir gehen nur ab und zu ins Netz: Dann werden wir jäh aus der Urlaubswelt gerissen und geraten in den flirrenden Sog der zirkulierenden Netzströme. Wir können die Dinge dann zwar nicht richtig bearbeiten und entscheiden, werden aber dadurch belastet. Oder aber wir lassen das Netz einmal wirklich außen vor – dann gelingt es uns vielleicht sogar vorübergehend abzuschalten. Aber im Hintergrund lauert das Bewusstsein, vielleicht Wichtiges zu verpassen und abgehängt werden zu können. Und dass wir, zurück in der Arbeit, vor einem Berg stehen werden, angesichts dessen sogar Sisyphos erbleicht wäre.

Bernd das Brot ist Rauswerfer beim Kika und ein großer Verfechter des Abschaltens Das Internet versaut mir nicht nur den Urlaub, es ist ein lebenslanges Versau-mir-meine-Welt-O-Tron. Bisher genügte ein Hinweis auf meine kurzen Arme, warum ich keine Computer bediene. Seit es aber diese elenden Smartphones gibt, glaubt man wohl, das ginge auch mit Gnubbelfingern. Hat ja nur einen Knopf zum Ein- und Ausschalten und der Rest ist Getappe und Geschüttel. Ich würde lachen, wenn ich lachen würde. Bernd das Brot an die Welt: Ein Smartphone hat nicht nur einen Knopf – es hat hunderte auf seinem Bildschirm! Ich hätte dieses elende Ding längst auf die nächste Straßenbahnschiene gelegt, wenn die Leute vom Kika es mir nicht mit Teppichklebeband in die Hand gepappt hätten! „Damit du auch im Urlaub erreichbar bist“, sagen sie. Mist.

Uli Moll, 48, ist freier Autor und hat seinen Kommentar auf taz.de gestelltWer verreist und trotzdem für den Chef erreichbar bleibt, macht keinen Urlaub. Urlaub ist nicht nur das Schweigen des Weckers. Urlaub ist rauskommen, was anderes sehen, was erleben. Wer meint, in seiner Firma unersetzlich zu sein, bezeugt eine falsche Personalpolitik. Warum soll die Urlaubsvertretung den Job nicht machen können? Wer es nicht aushält, mal kurz offline zu sein, sollte in eine Suchtklinik und hat in verantwortlichen Stellen nichts verloren, wegen Geltungssucht, Kontrollwahn und krankhafter Minderwertigkeitskomplexe. Wirklich wichtige Menschen belästigt man nicht in der Freizeit. Und wirklich kompetente Menschen können abschalten. Auch das Internet. Für Notfälle gibt es ja den Reiseruf.

NEIN

Mario Sixtus, 45, deutscher Video-Podcast-Pionier, erhielt 2007 den Grimme Online Award

Ich ertrage die Provinz nicht. Die Stille dort macht mich fertig. Spätestens am dritten Tag flüchte ich immer in die nächste Großstadt. Ähnlich geht es mir mit dem Netz: Ohne das zwischen Sinnfreiheit und Genialität oszillierende Dauergeplapper meiner Netzfreunde geht es mir nicht gut – und im Urlaub lasse ich es mir gut gehen, also nehme ich sie alle mit. Es ist ein magischer Moment, auf der anderen Seite der Weltkugel zu urlauben und gemächlich die persönliche Twitter-Timeline durchzuscrollen. Das Netbook auf dem Schoß, die Golden Gate Bridge im Hintergrund, und auf dem Monitor kriechen langsam die Gedankenfragmente von Fremden und Freunden hoch, bis sie hinter der oberen Display-Kante und aus der Wahrnehmung verschwinden. Twitter erzeugt ein oberflächliches, unverbindliches und ungeheuer angenehmes Gefühl von Verbundenheit. Alle paar Tweets werde ich daran erinnert, dass ich weit weg bin, in einer anderen Zeitzone. Nur das Netz schafft es, räumliche Entfernung spürbar zu machen und gleichzeitig gedankliche Nähe zu schenken.

Agnieszka Malczak, 25, ist Grünenpolitikerin und Mitglied desBundestags

Die technischen Möglichkeiten des Internets schaffen Freiräume, aber auch problematische Praktiken. Manch ein Freund, Kollege oder Chef glaubt, jederzeit Zugang zu einer Person zu haben. Und die betroffene Person denkt zu oft, für diesen Zugriff jederzeit bereit sein zu müssen. Der entscheidende Punkt ist aber: Die Technik schafft nur Rahmenbedingungen. Wir Menschen handeln. Es bleibt unsere Entscheidung, ob wir das Gerät einschalten. Die Entscheidung mag nicht immer leicht sein. Mir selbst fällt es in freien Zeiten schwer, Internetabstinenz zu üben. Als Politikerin muss ich mich ja schnell über Ereignisse informieren. Aber Abschalten ohne Ausschalten funktioniert nicht. Es setzt Medienkompetenz und die Fähigkeit, „Nein“ zu sagen, voraus. Ich trainiere das am Beginn jeden Urlaubs aufs Neue – dann aber genieße ich.

Sebastian „Buddy“ Erl, 32, erhielt für „Ab in den Süden“ eine Goldene Schallplatte

Nein, ich glaube nicht, dass das Internet den Urlaub stört oder gar versaut. Sommer ist, was man selbst daraus macht. Ich, als jemand, der beruflich viel unterwegs ist, bin dankbar für die Erfindung des mobilen Internets. Mit dem Smartphone habe ich die Möglichkeit, mit meiner Familie und alten Freunden in Kontakt zu bleiben. Ich kann sie via SMS oder MMS unmittelbar an meinem Leben teilhaben lassen. Digitale Vernetzung ist gerade für mich als Musiker sehr wichtig, denn dadurch verliere ich auch nicht die Nähe zu meinen Fans. Ich kann jeden, der will, an meinem Leben teilhaben lassen und muss nicht erst eine Boulevard-Redaktion anrufen oder auf Paparazzis warten, wenn ich mit Jürgen Drews Kaffee trinke oder mir beim Après-Ski das Bein breche.

Stefan Fussan, 39, betreibt das nichtkommerzielle Reise-Portal Wiki- voyage.org

Das Internet versaut nicht den Urlaub, sondern optimiert ihn eher. Denn Aktiv- und Individualurlauber benötigen ständig aktuelle Informationen wie Karten, Details zu Unterkünften, Sehenswürdigkeiten oder Aktivitäten. Onlineprojekte bieten hier neue Möglichkeiten gegenüber den klassischen, gedruckten Reiseführern. Denn dahinter steht eine große Gemeinschaft von Reisenden, die ihre Erfahrungen sofort weltweit zur Verfügung stellen. Dadurch sind die Berichte aktueller und objektiver. Und weil jeder Reisende unterschiedliche Interessen hat, bieten Netzangebote einfach einen größeren Schatz an Reisethemen und Empfehlungen – das Ganze kostenlos, on- wie offline und ohne dicke Bücher im Handgepäck.