STEFAN REINECKE ÜBER ANGELA MERKEL UND DIE KRISE DER EUROZONE
: Angst vor den Wählern

Zu glauben, dass Deutschland die Eurokrise nichts kosten wird, ist eine dumme Illusion

Angela Merkel hat mal wieder gesiegt. Die EU hat beschlossen, was Deutschland wollte – und vor allem, was Deutschland nicht wollte. Erst mal passiert gar nichts. Der Rettungsschirm wird nicht erweitert. Über Eurobonds, die klammen Staaten wie Irland, Griechenland und Spanien günstigere Zinsen bescheren könnten, hat man in Brüssel nicht mal geredet, denn für Eurobonds müsste Deutschland wahrscheinlich höhere Zinsen berappen. Das mobilisiert die Fantasie, dass deutsche Facharbeiter auf Umwegen griechische Rentner durchfüttern sollen, eine Vorstellung die vor allem in der schwarz-gelben Klientel Panik auslöst.

So kann Merkel eine beruhigende Botschaft mit nach Hause bringen: Es ist alles nicht so schlimm. Man hat zwar vorsorglich für 2013 beschlossen, dass jenen Staaten, die fast pleite sind, geholfen werden kann. Aber nur unter strengen Auflagen und nur, wenn der Euro in Gefahr ist. Außerdem ist es bis 2013 noch eine Weile hin. Will sagen: Angela Merkel, ganz brave schwäbische Hausfrau, weiß, wie man das Geld zusammenhält. Sie passt schon auf, dass wir nicht für die Eurokrise zahlen müssen.

Genau das ist eine dumme Illusion. Deutschland wird, so oder so, für die Krise zahlen. Irland, Griechenland und Portugal sind hoffnungslos überschuldet. Die rigiden Sparprogramme sind finanzpolitisch verständlich, verschärfen die Wirtschaftskrise dort aber noch. Es ist absehbar, dass deutsche Banken Milliarden von Euro, die sie an Irland, Griechenland und Portugal verliehen haben, in den Wind schreiben können. Die Quittung dafür bekommen erfahrungsgemäß die Steuerzahler. Außerdem wird Deutschland im Falle des Totalschadens für seinen Teil des Rettungsschirms aufkommen müssen.

Um das Schlimmste zu verhindern, wären ein kontrollierter Schuldenerlass und die Einführung von – für Pleitestaaten begrenzt zugänglichen – Eurobonds nötig. Je früher, desto besser. Und auch desto billiger.

Dass Merkel diesen Weg blockiert, zeugt von blanker Unsicherheit. Es verrät die Angst, zu Hause dafür vom Publikum mit Tomaten beworfen zu werden. Merkel behandelt das deutsche Wahlvolk in der Eurokrise wie einen unberechenbaren Schwererziehbaren, der auf keinen Fall die Wahrheit erfahren darf.

Diese Wahrheit passt in zweieinhalb Sätze: Wir sind nicht das Opfer des Euros, wir profitieren davon wie kaum sonst jemand in Europa. Deshalb boomt der deutsche Export (der übrigens eine Ursache der Schuldenkrise ist) wie nichts Gutes. Und, zweite Wahrheit, deshalb ist es im nationalen Interesse, wenn Deutschland etwas investiert, um den Euro zu stabilisieren.

Merkel aber redet sich die Eurokrise schön. Als das Griechenland-Desaster begann, signalisierte die Kanzlerin, dass man da leider nicht helfen könne. Als es den Rettungsschirm für Athen gab, erklärte sie, dass es nun aber reiche. Dann kam Irland. Es sind gerade diese kurzfristig wirksamen Beruhigungen, die am Ende das Gefühl evozieren, dass man „von denen da oben“ sowieso nur belogen wird. Es ist aber nie klug, das Volk wie einen Irren zu behandeln, den man nicht reizen darf. Solche Art von Schonpädagogik taugt auch nicht dazu, das Gespenst einer rechtspopulistischen, antieuropäischen Partei zu vertreiben – im Gegenteil. Denn die Rechnung kommt am Ende bestimmt.

Nötig ist eine klare, offensive Begründung, warum Deutschland den Euro braucht und sich das auch etwas kosten lassen muss. Merkel aber neigt nicht zu grundsätzlichen Erklärungen: Das Zögerliche, Vage liegt ihr mehr. Es ist ihr – machtpolitisch äußerst effektiver – Stil, lieber abzuwarten, wie sich die Machtverhältnisse sortieren, und bloß nichts zu riskieren. So hat sie sich schon während der Finanzkrise 2009 verhalten. Erst als es gar nicht mehr anders ging, hat sie die richtigen Forderungen der Sozialdemokraten durchgewinkt, Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogramm. Merkels größtes Verdienst in der Finanzkrise war es, einzusehen, dass sie ihren Widerstand gegen das Richtige besser aufgeben sollte.

Merkel hat den konsensualen Politikstil der alten Bundesrepublik zum Attentismus gesteigert. Getan wird nur, was in Eliten und Wahlvolk konsensfähig ist. Im politischen Normalbetrieb funktioniert das halbwegs. Für die Eurokrise ist es viel zu wenig.

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