MICHAEL BRAUN ÜBER DIE PROTESTE DER STUDIERENDEN IN ITALIEN
: Die 1.000-Euro-Generation

Auf den ersten Blick hat Italiens Regierung gesiegt, hat die neue Studentenbewegung die Auseinandersetzung um die Universitätsreform verloren. Doch Berlusconis Rechtskoalition sollte sich nicht in Sicherheit wiegen: Die Bewegung hat, so scheint es, alles andere als episodischen Charakter. Im Jahr 2008 begannen die massiven Proteste gegen die rechte, vor allem aus radikalen Kürzungen bestehende Bildungspolitik – und im Jahr 2010 erreichten sie Dimensionen wie zuvor nur 1968. Nichts spricht dafür, dass die Proteste der letzten Tage ein flüchtiger Moment bleiben werden: Zu tief sitzt der Frust, sitzt die Verbitterung bei zehntausenden Studenten und prekär Beschäftigten im Land. Zu groß ist die Gewissheit, im besten Falle morgen zu einer „1.000-Euro-Generation“ zu gehören.

Doch ein neues 68 wird Italien kaum erleben. Vor gut 40 Jahren lebte die Bewegung in ihrem Kern von optimistischen Zukunftsvisionen, von einem radikalen politischen Impetus, zunehmend auch von hoher Ideologisierung im Namen eines politischen Aufbruchprogramms. 68 herrschte der Glaube, dass alles möglich ist. Heute dagegen setzt sich Italiens Jugend in Bewegung, weil sie glaubt, dass für sie nichts mehr geht, weil sie schwarzsieht für ihre Perspektiven, weil sie fürchtet, vor einer verbauten Zukunft zu stehen. Ein gemeinsamer politisch-ideologischer Horizont unter roten Fahnen ist nicht in Sicht, auch wenn auf der Demo in Rom am Mittwoch ein paar Leute den alten Schlager von der „Bandiera rossa“ anstimmten.

Kurz: Es ist eine skeptische Generation, die da auf die Straße geht. Eine Generation allerdings, die dabei ist, so manches Vorurteil von bei ihr herrschender Apathie, von Fatalismus und Passivität zu widerlegen. Ihre Botschaft ist: Wenn wir schon keine Zukunft haben, dann nehmen wir sie wenigstens selbst in die Hand.