MARTIN FRITZ ÜBER DIE PARLAMENTSWAHLEN IN JAPAN
: Japan verjagt seine Reformer

Jeder dritte Japaner hat einen Teilzeitjob ohne soziale Absicherung. Mehr Arbeit ist das Wichtigste

Gibt es denn gar keine Linken und Liberalen mehr in Japan? Bei der Parlamentswahl kommen die konservativen und rechten Kräfte auf über 80 Prozent der Mandate. Eine prominente Anti-Atom-Partei errang nur neun Sitze. Der Rechtsruck bedeutet in erster Linie eine Abwahl der sozialliberalen Demokratischen Partei (DPJ). Sogar Wahlsieger Shinzo Abe gibt zu, dass vor allem die Ablehnung der alten Regierung ihm den Sieg brachte.

Das Reformprojekt der DPJ scheiterte zum einen an Inkompetenz und Unerfahrenheit. Es war unrealistisch, mitten in der Finanzkrise den Wohlfahrtsstaat auszubauen. Zum anderen hat das Establishment die DPJ mit allen Kräften diskreditiert, um Veränderungen zu verhindern.

Japans Wähler wollen nach drei Jahren Chaos und Stillstand wieder ihre Ruhe haben. Vielen geht es drei Jahre nach dem Machtwechsel vom September 2009 wirtschaftlich schlechter. Jeder Dritte hat einen Teilzeitjob ohne soziale Absicherung. Trotzdem setzte die DPJ eine Verdoppelung der Mehrwertsteuer ab 2014 durch. Dagegen will die LDP das Wachstum auf bewährte Weise mit Bauprogrammen ankurbeln und Arbeitsplätze im ländlichen Raum schaffen. Das wird kurzfristig funktionieren, allerdings mit dem Preis, dass Japans Schuldenberg noch schneller wächst.

Der Atomunfall von Fukushima hat die Wahl zwar kaum beeinflusst. Aber die Mehrheit der Bürger bleibt atomkritisch. Der Koalitionspartner der LDP, die buddhistische Neue Komeito, drängt auf einen schnellen Ausstieg. Eine Renaissance der Atomkraft bedeutet der Wahlsieg der Atompartei LDP daher nicht.

Die sehr niedrige Wahlbeteiligung spricht zudem dagegen, dass die Japaner einen scharf nationalistischen Kurs wollen. Die meisten denken pragmatisch. Japan soll sich nicht von China demütigen lassen, aber die pazifistische Grundhaltung hat sich nicht geändert. Das sollte der Rechtskonservative Abe nicht vergessen.

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