EVA VÖLPEL ÜBER DAS DEUTSCHE BESCHÄFTIGUNGSWUNDER
: Die gleiche Arbeit umverteilt

In Deutschland wurden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern die Arbeit massiv prekarisiert

Es ist schizophren. In Deutschland arbeiten so viele Menschen wie noch nie, die Arbeitslosenrate ist niedrig – und trotzdem steigt die Zahl der Armen. Wie kann das sein?

Die Antwort ist einfach: Die eine Entwicklung ist ohne die andere nicht zu haben. Noch 2005 schaute die Republik in Schockstarre auf offiziell fast fünf Millionen Arbeitslose im Land. Heute sind es nur noch um die drei Millionen.

Doch diese Erfolgsgeschichte hat ihren Preis. Wenn immer mehr Frauen arbeiten wollen, immer mehr Erwerbslose arbeiten sollen und auch Ältere länger im Beruf bleiben müssen, steigt die Zahl der potenziell Erwerbstätigen kräftig an. Doch weil die bezahlte Arbeit in unserer hochtechnologisierten Gesellschaft nicht beliebig ausdehnbar ist, kann es nur auf eine Umverteilung von Arbeit hinauslaufen.

Das muss per se nicht schlecht sein, schließlich wollen viele keine 40 Stunden, sondern lieber Teilzeit arbeiten. Doch wenn die Umverteilung der Arbeitszeit nicht durch Mindestlöhne und weitere strenge Kriterien flankiert wird, beispielsweise wie viele Stunden man im Monat für einen 450-Euro-Minijob arbeiten muss, werden Beschäftigte gezwungen, ihre Arbeitskraft billig anzubieten. Das ist kein Beschäftigungs-„Wunder“, sondern ein Prozess struktureller Prekarisierung.

Umfragen zeigen regelmäßig, dass eine Mehrheit der Deutschen das nicht mehr will. Auch die SPD ist mit dem Versprechen angetreten, Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen.

Doch leider klingt der Entwurf des Koalitionsvertrags nicht nach der großen Wende. Ausnahmeregeln beim Mindestlohn, minimale Reformen bei der Leiharbeit und keine Maßnahmen, um den stetigen Absturz der gesetzlichen Altersrenten zu bremsen, das sind nur einige Punkte, die zeigen, dass allenfalls kosmetische Veränderungen vorgesehen sind.

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