GEHT’S NOCH?
: Aktenzeichen Rassismus ungelöst

NAZIS MORDEN – DAS DÄMMERT NUN AUCH GANZ LANGSAM DEN DEUTSCHEN SICHERHEITSBEHÖRDEN

Na, das ist ja eine Überraschung! 746 ungeklärte Verbrechen, bei denen die Opfer getötet wurden oder nur knapp ihrem Tod entgangen sind, will sich die deutsche Polizei noch einmal genauer ansehen.

Denn bei mehr als jedem fünften der 3.300 ungeklärten Fälle, welche die Behörden noch einmal durchforstet haben, gibt es Indizien für ein mögliches rechtes Tatmotiv, das bislang übersehen wurde – so gibt es das Innenministerium jetzt zähneknirschend zu. Muss dessen offizielle Statistik, die seit 1990 lediglich von knapp 60 Opfern rechtsextremer Gewalt ausgeht, also umgeschrieben werden?

Es wäre überfällig. Zwar muss nicht jede Straftat, die ein Rechtsradikaler begeht, politisch motiviert sein; aber die Zahlen zu tödlicher Gewalt von rechts, von denen kritische Journalisten und antirassistische Initiativen schon seit Jahren ausgehen, sind mehr als dreimal so hoch wie die der Bundesregierung.

Die wahre Dimension könnte noch erschreckender sein. Aber erst der Schock darüber, dass die beispiellose Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds so lange unerkannt bleiben konnte, hat die Augen für die systematische Ignoranz der Behörden geöffnet. Nur deshalb wurden die alten Akten zu anderen Verbrechen jetzt wiederaufgemacht.

Die hohe Zahl der ungeklärten Verdachtsfälle, die jetzt publik geworden ist, zeigt, wie blind gegenüber rechter Gewalt die Behörden in der Vergangenheit gewesen sind.

Leider hat sich an der Ignoranz wenig geändert. Politik, Behörden und Polizeigewerkschaften leugnen noch immer, dass die Beamten ein Rassismusproblem haben. Nur auf ihren Druck ist es zurückzuführen, dass das Wort vom „strukturellen Rassismus“ keinen Eingang in den Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses gefunden hat.

Doch ohne Selbsterkenntnis ist keine Besserung in Sicht. Das zeigt etwa der Fall des türkeistämmigen Imbissbetreibers aus Bernburg, Sachsen-Anhalt, der vor zwei Monaten von mehreren Neonazis krankenhausreif geschlagen wurde. Auch da konnte die Staatsanwaltschaft in Magdeburg, wie so oft, bislang partout kein rassistisches Motiv erkennen. Wer solche Behörden hat, der muss sich vor der NPD nicht mehr fürchten. DANIEL BAX