ULRIKE HERRMANN ÜBER DIE DEUTSCHE WIRTSCHAFT IM ABSCHWUNG
: Der Herbst des Kaputtsparens

Eigentlich einfach: Wenn die Exporte wegbrechen, muss die Binnennachfrage stimuliert werden

Besser spät als nie: Selbst neoliberale Wirtschaftsforscher haben jetzt bemerkt, dass es in Deutschland keinen Aufschwung gibt. Monatelang wurde auf Optimismus gemacht und von der „Stärke Deutschlands“ fantasiert, als wäre die Bundesrepublik eine Insel, die sich um das Schicksal ihrer Euro-Nachbarn nicht kümmern muss. Doch jetzt brechen Aufträge und Exporte so rasant ein, dass das aktuelle Herbstgutachten die Wachstumsprognosen deutlich nach unten korrigiert.

Eigentlich wäre es einfach: Wenn die Exporte wegbrechen, muss die Binnennachfrage stimuliert werden. Das wäre sogar kostenlos, denn die realen Zinsen liegen bei null. Für eine zehnjährige Staatsanleihe muss die Bundesrepublik derzeit nur 0,86 Prozent Zinsen zahlen. Dieser lächerliche Betrag finanziert sich wie von selbst, weil die Inflation 0,8 Prozent beträgt. Umsonst Schulden machen, davon träumt jeder – nur nicht der deutsche Finanzminister. Eisern hält Schäuble an seiner „schwarzen Null“ fest.

Diese Sparwut ist besonders abwegig, weil die deutsche Infrastruktur marode ist und der Staat dringend investieren müsste. Ob bei kommunalen Brücken oder Universitätsgebäuden – überall bröckelt es.

Der deutschen Regierung bietet sich also eine einzigartige Chance: Für lau könnte sie sich als Retterin inszenieren. Die Kommunen wären dankbar, wenn jemand ihre Straßen repariert; die Industriearbeiter wüssten es zu schätzen, wenn keine Kurzarbeit kommt; und das europäische Ausland wäre begeistert, wenn Deutschland endlich zur Konjunkturlokomotive wird. Doch noch sperrt sich das Kabinett Merkel, für billig Geld maximale Wirkung zu erzielen.

Oft wird beklagt, dass Politiker Opportunisten seien. Doch viel schlimmer sind die Überzeugungstäter, die sogar die Selbstzerstörung riskieren.

Wirtschaft + Umwelt SEITE 8