Entsorgt, als wäre es Hausmüll

Was wird aus dem Pannen-Atomlager Asse II? Beim Besuch unter Tage wird deutlich: Der Betreiber des Stollens hält die Rückholung des radioaktiven Mülls, wie sie Anwohner fordern, für nicht mehr machbar

Zwischen 1967 und 1978 wurden im damaligen Forschungsbergwerk Asse II gut 126.000 Fässer schwach und mittelstark strahlender Atommüll eingelagert, seit 1995 wurden die Versuche eingestellt. Unter anderem sollte die Asse als Matrix für ein Endlager in Gorleben herhalten. Seitdem wird die Asse mit Salz verfüllt. Die Schließung soll nach bisherigen Schätzungen 830 Millionen Euro kosten und 2017 abgeschlossen sein. Bis Ende des Jahres soll erneut geprüft werden, welche Möglichkeiten der Schließung möglich sind. Dazu erstellt das Bundesumweltministerium bis zum August einen so genannten Statusbericht. Die bei der Einlagerung erstellten Inventarlisten wurden 2002 zum letzten Mal überprüft, könnten aber immer noch unvollständig sein. Danach liegen in der Asse 102 Tonnen Uran, 87 Tonnen Thorium, 11,6 Kilo Plutonium und Radium. KSC

AUS REMLINGEN KAI SCHÖNEBERG

„Die Philosophie hat sich weiter entwickelt“, sagt Günther Kappei, der Leiter des einstigen Forschungsbergwerks über den mit beige-grauem Salz verschütteten Fässerberg in Kammer 7. „Verheerend“, sagt Stefan Birkner über die mit Uran, Thorium und Plutonium gefüllten, kreuz und quer verstreuten Behälter, die bis 1978 einfach mit Lastwagen in die Tiefe gekippt wurden – als wäre es Hausmüll. Birkner, Umweltstaatssekretär und „Sonderermittler“ rund um das in die Schlagzeilen geratenen Pannen-Lager Asse II, hat sich an diesem Freitag nach Remlingen aufgemacht. Das Bergwerk schmiegt sich hier in die lieblich-hügelige Region bei Wolfenbüttel, wo inzwischen 300 gelbe „A“-Schilder an Wegen und Hausgärten darauf aufmerksam machen, dass die Menschen kaum noch Vertrauen in Sicherheitsversprechen haben.

Birkner ist mit rotem Helm und weißem Kittel auf einem offenen Transporter durch die kilometerlangen Schächte des einstigen Salzbergwerks gebraust. Er schwitzte bei 34 Grad Hitze und sah Schilder mit der Aufschrift „Radioaktiver Kontrollbereich“. Und sagt doch nach der Visite 750 Meter unter der Erde, es habe sich „wenig Neues“ ergeben. Tatsächlich wurde klar, dass die Bergleute vor Ort einiges gegen die nun von der Politik verfolgte Strategie haben: Die sieht vor, für die Schließung der atomaren Zeitbombe „alle Optionen“ zu prüfen – auch die Rückholung des Mülls, wie die Asse-Anwohner sie so dringend fordern.

Herbert Meyer schüttelt entschieden den Kopf: „Die sind jetzt endgelagert“, sagt der Strahlenschutzexperte über die 125.000 schwach radioaktiv strahlenden Fässer, die mittels „Versturztechnik“ in die Asse gekippt wurden. „Mit Handarbeit“ müsste man den Müll aus der Asse holen, sagt Grubenchef Günther Kappei, gefährlich für die Mitarbeiter und langwierig wäre das. Vielleicht stürzt die Asse, in der sich das Gestein mit einer Geschwindigkeit von derzeit 12 Zentimetern pro Jahr bewegt, während der Rückholung ein: Die Bergleute zeigen zehn Zentimeter lange Risse. Die Standfestigkeit ist hier laut Studien nur noch sechs Jahre lang gewährleistet.

Vielleicht vermehrt sich auch das Salzwasser, seit 1988 fließen täglich 11.500 Liter nicht kontaminierter Lauge in die Asse. Es vermengt sich mit dem Atommüll und spült langsam nach oben. Das Horrorszenario der Leute vor Ort. Dabei hat das Thorium in den so unachtsam gelagerten Fässern eine Halbwertszeit von 14 Milliarden Jahren. Anders verhält es sich mit rund 1.300 mittelstark strahlenden Fässern auf der 511-Meter-Sohle: Sie sind sorgfältiger gelagert und nicht unter Salz verschüttet, ihre Rückholung wird geprüft. Ob sie sinnvoll wäre, ist fraglich: Die Stoffe in diesen Fässern, Cäsium, Kobalt und Strontium aus der Kernforschungsanlage Karlsruhe, verfallen in höchstens 30 Jahren.

„Sind das Maßnahmen, die reversibel sind?“, fragt Birkner sorgenvoll, als ihm die Bergleute die 50 Meter langen Strömungsbarrieren zeigen: riesige Propfen aus Spezialbeton, die Laugenzuflüsse und Bewegungen im Berg aufhalten sollen. 65 sollen es werden, alle schon genehmigt, wird versichert. Technisch sei alles machbar, versichern die Bergleute, aber eigentlich halten sie die Rückholung für Unsinn.

Birkner betont, in der Asse würden „keine Fakten geschaffen, die der Rückholung, wenn man sich dafür entschließen sollte, entgegen stehen“. Der Asse-Betreiber, das Helmholtz-Zentrum München, arbeitet aber sichtbar weiter an seinem Schließungskonzept, der teilweisen Stabilisierung der Asse mit Spezialbeton samt anschließender Flutung mit einer Speziallösung aus Magnesiumchlorid. 350 Bergleute werkeln unter Tage, bald sollen 50 weitere dazu kommen.

Am Ort, der Schlagzeilen machte, herrscht gespenstische Stille: Vor Kammer 12 sammelt sich auf der 750-Meter-Sohle die Cäsium-Lauge, die die Grenzwerte bis zum Elffachen überschritt. Hinter rostigen Absperrketten sind Fässer und feuchte Stellen zu sehen, täglich tröpfeln hier 33 Liter Cäsiumlauge an die Oberfläche, der Grenzwert ist nun dreifach zu hoch. Asse-Chef Kappei sagt, das mit der Kontamination sei etwa so, „als ob man Muscheln im Restaurant“ esse. Es sei ein „Fehler“ gewesen, das Cäsium ohne Genehmigung in 975 Metern Tiefe zu verklappen. Und, dass sich nun alles bessern werde. Denn: „Betriebsgeheimnisse haben wir nicht.“