Missbrauchsfälle in Salzgitter: In der Höhle der Schäfchen

Weihbischof Heinz-Günter Bongartz hat am Sonntag einen Gottesdienst in der St. Josephs-Gemeinde in Salzgitter gelesen. Deren Priester sitzt wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauchs in U-Haft.

Inmitten der Schäfchen: der Hildesheimer Weihbischof Heinz-Günter Bongartz beim Kirchenfrühstück in Salzgitter. Bild: dpa

HAMBURG | taz Der Hildesheimer Weihbischof Heinz-Günter Bongartz hat am Sonntag die Messe in der katholischen Pfarrgemeinde gelesen, deren Pfarrer eine Woche zuvor wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch verhaftet worden ist. "Unsere erste Sorge gilt den Opfern, um die wir uns nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kümmern werden", sagte Bongartz in seiner Predigt in der St. Josephs-Gemeinde in Salzgitter.

Die Polizei hatte den 46-jährigen Priester festgenommen, kurz bevor dieser mit einer Jugendgruppe zu einer Freizeit ins französische Taizé aufbrechen sollte. Die Kirche hatte ihn als Begleiter zugeteilt, obwohl er wenige Wochen zuvor ein Kontaktverbot zu einem Jungen aus seiner Gemeinde übertreten hatte, dass seit 2006 bestand.

Die Familie hatte sich damals beim Bistum beschwert, der Priester habe mit dem Jungen in einem Bett geschlafen. Nach dem Bruch des Kontaktverbots - der Priester hatte dem Jungen einen Brief geschrieben - führte das Bistum erneut Gespräche mit dem Priester, zog aber keine weiteren Konsequenzen.

Nach einem Treffen mit dem Kirchenvorstand der St- Josephs-Gemeinde sagte Weihbischof Bongartz gegenüber dem NDR, die Kirche habe im Vorfeld "vielleicht nicht genug gehandelt". Am Sonntag erklärte er, es habe "keine Hinweise auf einen sexuellen Übergriff gegeben."

Der Priester ist verhaftetet worden, nachdem die Mutter eines der mutmaßlichen Opfer Strafanzeige gestellt hat. Schon 2010 hatte das Bistum die Staatsanwaltschaft Hildesheim eingeschaltet - auf Betreiben der Familie des Jungen, zu dem der Priester die Kontaktsperre hatte.

Im Januar 2010 werden Missbrauchsfälle im katholischen Canisius-Kolleg in Berlin bekannt.

In der Folge werden die deutschen Bistümer mit einer steigenden Zahl von Missbrauchs-Vorwürfen konfrontiert.

Im April 2010 räumt der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, Fehler der Kirche ein.

Im Februar 2011 einigen sich die katholischen Bischöfe und Ordensoberen auf Zahlungen an die Opfer sexuellen Missbrauchs.

Im März 2011 wird die Summe genannt: 5000 Euro

Im Juli 2011 gibt die katholische Kirche eine Studie in Auftrag, mit der die Missbrauchsfälle wissenschaftlich erforscht werden sollen.

Die Staatsanwälte konnten jedoch den Verdacht gegen den Gemeindepfarrer nicht erhärten und stellten die Ermittlungen ein. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft nun erklärte, habe das Bistum den Sachverhalt damals anonym unterbreitet - ohne den Namen des Priesters zu nennen.

"Wir haben gehofft, dass es nach der Aufklärungswelle im vergangenen Jahr ruhiger werden würde und wir uns der Prävention widmen können", sagte Weihbischof Bongartz in der mit mehr als 500 Menschen überfüllten Kirche. "Wir spüren eine große Bestürzung und Ohnmacht, uns fehlen die Worte für das, was geschehen ist."

Bei einem Kirchenfrühstück nach dem Gottesdienst standen die Menschen dicht gedrängt im Pfarrhaus. Ein aufgebrachter Mann wollte vom Weihbischof wissen, warum die Diözese nicht vorher eingegriffen habe.

"Das ist alles schlimm, das durfte nicht passieren", sagte eine ältere Frau leise, während andere Gemeindemitglieder lautstark diskutierten. "Ich wünsche mir jetzt einfach einen netten, gemütlichen Pfarrer", sagte eine Frau.

Der Gemeindepfarrer hat inzwischen gestanden, sich jahrelang an drei Jungen vergangen zu haben. Eine Sonderkommission "Peccantia" (lateinisch für Sünde) wertet Akten, Bilder und CDs aus, die in der Wohnung des Pfarrers beschlagnahmt wurden.

Da der Pfarrer vielfältigen Kontakt zu Kindern - beispielsweise im Kommunionsunterricht - gehabt hat, prüft die Staatsanwaltschaft, ob es weitere Opfer gibt. Bislang gibt es laut Polizei dafür allerdings keine Hinweise.

Auch der Selbstmord eines jungen Mannes, der sich 2007 im Pfarrhaus in Salzgitter umgebracht hatte, soll neu aufgerollt werden. Bislang sei man von persönlichen oder familiären Hintergründen ausgegangen, sagte ein Sprecher der Polizei Braunschweig. "Nun muss man schauen, ob es noch andere Verbindungen oder Ereignisse gegeben hat, die eine Rolle gespielt haben könnten."

Der Pfarrgemeinderat St. Joseph hat mit dem Kirchenvorstand und dem Pfarrteam signalisiert, dass es "keine Option ist, hinzuschmeißen". "Wir fordern alle Gemeindemitglieder auf, unser Gemeindeleben weiter mitzugestalten und zu unterstützen", heißt es in einer Erklärung, die im Gottesdienst verlesen wurde.

Der Pfarrer, der in U-Haft sitzt, war vor einer Woche verstört in seiner Zelle vorgefunden worden. Er gab an, während des Zellenausschlusses von einem vermummten Mann geschlagen worden zu sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.