Der Flieger wartet nicht

BLEIBERECHT In Göttingen ist ein 27-jähriger Armenier vor seiner standesamtlichen Trauung abgeschoben worden – trotz eines anders lautenden Gerichtsbeschlusses, und obwohl er mustergültig integriert ist

Zweimal habe man die Bundespolizei angerufen, um A. aus dem Flugzeug zu holen

Sohrab A. war bei der Arbeit, als er am Morgen des 28. März verhaftet wurde. Um 15 Uhr sollte ein Flug von Frankfurt ins armenische Baku gehen, und der 27-Jährige sollte dorthin zurück – obwohl er seit 13 Jahren in Deutschland lebt und mustergültig integriert ist.

Um die Abschiebung zu verhindern, stellte Sohrab A.s Anwältin um 14 Uhr einen Eilantrag beim Göttinger Verwaltungsgericht. Um 14.50 Uhr gab das Gericht dem Antrag statt und informierte die Ausländerbehörde – zu spät, sagt diese. Zweimal habe man die Bundespolizei angerufen, um Sohrab A. aus dem Flugzeug zu holen. Das habe sich „allerdings schon in Startposition befunden“. Nach Darstellung des niedersächsischen Flüchtlingsrats erklärte die Bundespolizei, die Türen seien bereits geschlossen und ließen sich „nur noch aus Sicherheitsgründen“ öffnen. Auch beim Zwischenstopp in Moskau wurde Sohrab A. nicht aus dem Flugzeug geholt.

Die Abschiebung kam überraschend: Sohrab A. hatte sechs Semester Immobilienwirtschaft studiert, dann bekam er den Bescheid, dass er für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen müsse – sonst drohe die Abschiebung. Daraufhin begann er bei einem Telefondienstleister zu arbeiten, zuletzt hatte er einen unbefristeten Vertrag.

Seine armenischstämmige Freundin Lia D., die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, hatte er im September 2011 nach orthodoxem Ritus geheiratet, die standesamtliche Trauung sollte folgen – beim Göttinger Standesamt waren die beiden nach eigenen Aussagen bereits vorstellig geworden. „Wir haben das Dokument, mit Stempel“, sagt Lia D. Nur die „Ledigkeitsbescheinigungen“ hätten noch gefehlt.

Die Göttinger Ausländerbehörde sagt, beim Standesamt seien „weder Sohrab A. noch die von ihm benannte Verlobte bekannt“. Auch habe Sohrab A., der fließend Deutsch spreche, am Tag seiner Abschiebung „ausdrücklich nicht bestätigt“, dass er einen Pass besitze. Der Besitz eines Passes könne „ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels begründen“. Nach Auskunft von Sohrab A.s Anwältin, Silke Schäfer, lag der Pass ihres Mandanten dem Eilantrag bei. Eine Kopie des Dokuments sei an den Landkreis gegangen, dem die Ausländerbehörde zugeordnet ist.

Seit der Abschiebung steht Lia D. telefonisch mit ihrem Mann in Kontakt. Vor der Bundespolizei habe er sich ausziehen müssen und sei „im Genitalbereich untersucht worden“, sagt sie. „So behandelt man doch keinen Menschen.“  DANIEL WIESE