Wahlkampf in Schleswig-Holstein: "Den Laden aufmischen"

Die ehemalige grüne Verteidigungspolitikerin Angelika Beer will für die Piraten in den Kieler Landtag einziehen - und eine piratische Außenpolitik entwickeln.

Olivgrüne Piratin: Angelika Beer. Bild: dpa

NEUMÜNSTER taz | Sie sei „erleichtert über diese notwendige Klarstellung“, sagt Angelika Beer: Die Abgrenzung vom Rechtsextremismus, die die Piratenpartei am Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in Neumünster beschlossen hat, nennt sie einen „Befreiungsschlag“. Die Piraten hätten erkannt, „dass es eine Grenze der Toleranz gibt“ – und die verlaufe zwischen Demokraten und Neonazis.

Angelika Beer war mal eine grüne Spitzenpolitikerin, jetzt will sie für die Piraten in den schleswig-holsteinischen Landtag einziehen. Am Dienstag war sie, die seit drei Jahrzehnten in der Antifa-Arbeit aktiv ist, bei den Gegenaktionen zum NPD-Aufmarsch in ihrer Heimatstadt Neumünster im Zentrum Schleswig-Holsteins an führender Position aktiv. Da sei „die klare Kante der Piraten gegen rechts hilfreich“ gewesen.

Beer hat drei Jahre politischer Pause hinter sich. Sie sieht gut erholt aus, ansonsten ist sie die Alte. Sie hat noch denselben Mann, dasselbe Haus vor den Toren der Stadt mit Pferd, Hund und sieben Katzen, sie flicht sich immer noch die rot-grün-gelben Bänder in den Zopf, die Farben der kurdischen Guerillaorganisation PKK, und sie raucht immer noch Kette. Nur Grüne ist sie nicht mehr. „Das war ein langer Entfremdungsprozess“, sagt die ehemalige Bundesvorsitzende der Ökopartei heute, und einer voller Niederlagen.

Die 54-jährige gebürtige Kielerin ist Arzthelferin und Rechtsanwalts- und Notargehilfin. Aus einer ersten, frühen und kurzen Ehe hat sie einen heute 37-jährigen Sohn. Seit 2003 ist sie mit dem Bundeswehr-Oberstleutnant Peter Matthiesen verheiratet.

Grüne: Nach einer Vergangenheit im Kommunistischen Bund (KB) gehörte Beer 1980 zu den Mitbegründern der Grünen in Schleswig-Holstein. 1991 bis 1994 Mitglied des grünen Bundesvorstandes, 2002 bis 2004 Bundesvorsitzende (zusammen mit Reinhard Bütikofer).

Parlamente: 1987 bis 1990 und 1994 bis 2002 Mitglied des Bundestages, 2004 bis 2009 des Europaparlaments.

Piraten: Nach ihrem Austritt aus den Grünen am 28. März 2009 trat sie nach der Bundestagswahl im September des selben Jahres den Piraten bei.

Jetzt versucht sie den Neuanfang. Sie ist Direktkandidatin der Piraten in Neumünster und steht auf Platz sechs der Landesliste. Nach aktuellen Prognosen reicht das am kommenden Sonntag locker für ein Landtagsmandat. Bei den Piraten sei „alles so erfrischend“, sagt Beer beim Gespräch in einer Raucherkneipe in der Fußgängerzone und zündet sich eine Selbstgedrehte an. „Wir werden die anderen Parteien dazu bringen, sich zu ändern“, sagt Beer, und es bleibt offen, ob das eine Verheißung ist oder eine Drohung.

Denn da sind die Fragen nach den politischen Inhalten, mit denen Beer und ihre Piratencrew am Wahlkampfstand auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus gelöchert werden. Das Interesse an der jungen Partei ist groß, etliche Passanten kommen zum Diskutieren, viele kennen Beer, sie grüßt und wird gegrüßt. Und sie muss erklären: Wie die Piraten es mit dem Umweltschutz halten, mit der Bildung, mit Sicherheit und Ordnung, ob sie überhaupt ein Programm haben?

Das liegt jetzt vor, auf dem Tisch zwischen orangenen Einkaufschips, Fähnchen und Kugelschreibern wie bei den Altparteien. 64 Seiten zur Landtagswahl mit dem selbstironischen Titel „Jetzt mit mehr Inhalt“. Es ist das Programm, das die Schleswig-Holsteiner in großen Teilen rasch aus Papieren anderer Landesverbände zusammen kopiert haben. Den Freiherrn zu Guttenberg kostete solches Vorgehen Doktorwürde und Politikkarriere, die Piraten gehen über derlei kleinen Makel achselzuckend hinweg. Dass sie die Abschaffung der Studiengebühren fordern in einem Bundesland, in dem es gar keine Studiengebühren gibt – was soll’s. Ein Problem weniger in der realen Welt. „Das entwickelt sich alles noch“, wirbt Beer um Verständnis.

Über ihre Verletzungen aus der realen Welt der Machtpolitik ist Beer hinweg. Sagt sie zumindest. Gescheitert war die Friedensaktivistin letztlich daran, die Abkehr der Grünen vom radikalen Pazifismus mitgemacht zu haben. Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer hatte die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion 1999 in die Pflicht genommen, die Nato-Luftangriffe auf Serbien und die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg auf dem Balkan mitzutragen. Das kostete Beer Glaubwürdigkeit und viele politische Freunde. Dass sie sich auf einem Panzer ablichten ließ und von „unseren Jungs“ sprach, brachte ihr den Beinamen „die Olivgrüne“ ein. Und dann verliebte sie sich auch noch bei einem Truppenbesuch im Kosovo in einen Bundeswehroffizier, mit dem sie seit nunmehr neun Jahren verheiratet ist.

Dafür bekam sie bei der Bundestagswahl 2002 von ihrer Partei keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr. Eher aus Versehen wurde sie kurz darauf grüne Parteivorsitzende, weil keine andere linke Frau mehr da war. Nach zwei weiteren Jahren „Krieg mit Joschka“, so Beer rückblickend, kam 2004 der Wechsel ins Europaparlament. 2009 dann wurde sie bei der erneuten Nominierung weit nach hinten durchgereicht.

Und zog die Konsequenzen: Unter Tränen verkündete Beer auf dem Landesparteitag Ende März 2009 in Bad Oldesloe ihren Austritt aus der grünen Partei: „Ich habe mich zu weit von der Partei, zumindest von der Spitze im Bund, entfernt.“

„Machtpolitik verändert jeden zum Nachteil“, sagt Beer jetzt. Auch das sei ein Grund, die Ansätze der Piraten für Transparenz in der Politik sympathisch zu finden. Die Piraten seien nicht links, nicht rechts, eine Kooperation mit anderen Parteien „ist nur sachbezogen“ vorstellbar. „Wenn die Altparteien das nicht verstehen“, sagt Beer, „ist das ihr Problem.“ Viele Chancen gibt sie denen ohnehin nicht mehr: „Wir werden das System verändern und den verkorksten Laden aufmischen.“

Mit einer Angelika Beer im Landtag an der Kieler Förde, die als einzige Piratin Polit-Profi ist oder zumindest lange war. „Promi-Bonus“ habe sie keinen, sagt Beer: „Ich bin Basis-Piratin.“ An ihren politischen Schwerpunkten habe sich aber nichts geändert: „Ich bin Außenpolitikerin durch und durch.“ Dass dieses Ressort sich im Landtag auf norddeutsche Kooperation und waffenfreie Einsätze im Ostseeraum beschränken dürfte, ist Beer „natürlich“ bewusst. Dennoch wolle sie die Antwort auf eine programmatische Frage suchen: „Wie sieht piratische Außenpolitik aus?“ Davon nämlich steht im Wahlprogramm kein Wort. Trotz mehr Inhalt.

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