Tanzende Revolution

LATIN-SKA Doctor Krápula ist eine der erfolgreichsten Skabands Kolumbiens. In Europa noch weitgehend unbekannt, macht das Quintett aus Bogotá immer wieder auf die Situation von Minderheiten, Marginalisierten und die Ausbeutung der Umwelt aufmerksam

Scheu vor delikaten Themen kennt das Quintett aus Bogotá nicht

VON KNUT HENKEL

„Wenn es mehr Respekt für die Erde, für die Menschen geben würde…“, sagt David Jaramillo, bricht ab und reibt sich den schwarzen Bart. Unwirsch schüttelt er den Kopf, dass die lange Locken in Bewegung geraten. Denn mit der Politik der Regierung ist er so ganz und gar nicht einverstanden. „In Kolumbien geht es den Regierenden und den großen Konzernen doch nur um die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen – es geht um Gold, Kohle, Silizium, Lithium, Kalium oder sonst was. Kolumbien ist ein reiches Land, aber man muss die Leute vor den raffgierigen Politikern schützen.“

Jaramillo ist Bassist bei Bogotás erfolgreichster Ska-Rockband der letzten Jahre, bei Doctor Krápula – zu Deutsch so viel wie Doktor Ausschweifung. Dreimal wurde die Kapelle für einen Latin Grammy nominiert und in Kolumbien sind Auftritte vor bis zu 20.000 Fans die Regel. Die Popularität nutzen Bassist Jaramillo und Sänger Mario Muñoz, die beiden Sprachrohre der Band, um wie im April in Cali für den Schutz des Regenwaldes und der Tierwelt zu werben. Für die Opfer des Bürgerkriegs ist die Band genauso aufgetreten wie für die Obdachlosen nach Flutkatastrophen. Für die fünf Musiker, die allesamt aus Mittelschichtsfamilien stammen, eine Selbstverständlichkeit. „Wir sind solidarisch mit den Friedensgemeinden, die für ein Recht auf Neutralität eintreten, und mit den indigenen Gemeinden, die ihr Territorium verteidigen“, erklärt Sänger Mario Muñoz.

Das kann man auch auf dem letzten Album „Sagrado Corazón“ hören, das im Herbst 2010 auch hierzulande erschienen ist. „Activiación“ zum Beispiel ist ein Stück, in dem die Landfrage und deren Hintergründe kritisch beleuchtet werden. Ein strukturelles Problem des an Ressourcen so reichen Kolumbiens, in ihren Texten geißeln Doctor Krápula die ungleiche Verteilung und die Verlogenheit der Eliten. Gleiches gilt für die Rolle der Medien, die in „Radio Mentira“ ihr Fett bekommen. Scheu vor delikaten Themen kennen die fünf Musiker nicht.

Die haben sich bereits 1998 als noch Halbwüchsige zusammenschlossen. Als klassische Underground-Band, die Ska, Rock, Cumbia und Co zu ihrem typischen Sound fusioniert, begann das Quintett im Großraum Bogotá zu spielen und wurde langsam, aber stetig immer bekannter.

„Sagrado Corazón“ ist bereits das vierte Album, dass – anders als die drei Vorläufer, die allesamt bei kleinen Labels erschienen sind – wegen der besseren Vertriebsmöglichkeiten bei Sony herausgekommen ist. „Klar, Sony ist ein Major, aber die Rocksparte in Kolumbien ist ein kleiner Laden und kein großer Zirkus. Wir legen Wert auf kleine und persönliche Strukturen, brauchten aber einen vernünftigen Vertrieb“, erklärt der hagere Sänger.

Dabei pocht er auf die Unabhängigkeit der Band, ein wesentlicher Grund, weshalb Doctor Krápula in Deutschland beim hannoverschen Nischenlabel „Übersee Records“ untergekommen sind. Gemeinsam mit den Latin-Ska-Fachleuten tüfteln die Kolumbianer nun an Tourplan und Präsenz. Dabei setzen die fünf Ausschweifungs-Ärzte aus der kolumbianischen Hauptstadt zu einhundert Prozent auf Mund-zu-Mund-Propaganda. „Ein echter Fan ist mehr Wert als tausend Plakate“, lautet das Motto der „tanzenden Revolution“, die die fünf Doktoren im Sinn haben und mit der sie auch schon in Mexiko und den USA landen konnten. Nun wollen sie den Sprung nach Europa wagen. Und Deutschland soll dafür das Sprungbrett liefern.

■ Hamburg: Mi, 20. 6., 22 Uhr, Hafenklang; Flensburg: Fr, 22. 6., 21 Uhr, Kühlhaus; Kiel: Sa, 7. 7., RD-Rock-Festival; Bremen: Mi, 11. 7., Breminale