Kein rein teutonisches Problem

EXTREM Nationalisten und Rechtsextreme gibt es selbstverständlich auch unter Migranten. Viele Jugendliche benutzen oft unwissend ihre Symbole. Erstmals widmet sich nun eine Broschüre dem Thema

Im Juli letzten Jahres stach ein junger Russlanddeutscher in einem Gerichtssaal in Dresden eine Ägypterin nieder. Die Medien berichteten ausführlich. Doch trotz des rassistischen Mordes wurde der Täter häufig als verwirrt dargestellt – auch weil er sich als Russlanddeutscher auf die NPD berief. Dabei ist er zweifellos ein Rechtsextremist. Warum tun wir uns schwer damit, den Rechtsextremismus von Migranten als solchen zu benennen?

Im Vorwort der Broschüre „Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft“ stellen Sanem Kleff und Eberhard Seidel klar: „Alle Menschen, egal woher sie kommen, wie sie aussehen, welchem Glauben sie angehören oder welche Sprache sie sprechen, sind in der Lage zu diskriminieren.“ Erschienen im Rahmen von „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“, dürfte dieses Heft eine einmalige Publikation sein. Seidel erklärt diesen Mangel mit der ausschließlichen Fokussierung auf den „teutonischen Rechtsextremismus“ der Mehrheitsgesellschaft. Hinzu käme, dass, wenn es um Migranten geht, Opfer und Täter immer schon feststehen und Rechtsextremismus nicht als Phänomen aller sozialen Hintergründe angenommen werde.

Gerade für Schulen sei diese Verkürzung fatal. Jedes dritte Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund und nationalistische Organisationen werben gezielt unter Jugendlichen.

Die Broschüre widmet sich in einzelnen Kapiteln dem Rechtsextremismus der vier größten Einwanderungsgruppen aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Polen und Russland. In einfacher Sprache werden Gründe für Migration, die Lebenssituation in Deutschland sowie das Gedankengut und die Organisationen der Rechtsextremen beschrieben. Auch werden die Erkennungszeichen rechter Organisationen vorgestellt, die Jugendliche nicht selten aus Unwissenheit benutzen: der Wolfskopf der „Grauen Wölfe“ oder das „U“ der faschistischen kroatischen Ustascha.

Sead Husić etwa verdeutlicht im Kapitel „Jugo-Kult und Ethno-Irrsinn“, wie sehr sich viele in Deutschland aufgewachsene Ex-Jugoslawen mit nationalistischen Ideologien identifizieren. Während der Bürgerkriege in den Neunzigern hatten viele der neu entstandenen serbischen, kroatischen oder bosnischen Clubs Geld zur Unterstützung „ihrer“ Armeen gesammelt. Heute werden die Kämpfe verbal im Netz ausgetragen.

Der Text über den türkischen Rechtsextremismus geht ausführlich auf die Entstehungsgeschichte der paramilitärischen „Grauen Wölfe“ ein. Demonstrationen, auf denen ihre Symbole gezeigt werden, sind in Deutschland keine Seltenheit. Häufig stellen sie auch eine Bedrohung für kurdische Einrichtungen dar. Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Mitglieder der „Grauen Wölfe“ in Deutschland auf 7.000, die der Sympathisanten auf eine Vielzahl mehr.

Dass die einzelnen Kapitel Unterschiedliches in den Vordergrund rücken – etwa die geschichtlichen Hintergründe, Medien oder Feinbilder der Rechten –, tut dem Heft gut. Doch neben der Thematisierung des militanten Hasses auf Homosexuelle und den rigiden Vorstellungen von „normaler“ Sexualität wird auf Frauen- und Männerbilder kaum eingegangen. Dies soll laut Seidel in der folgenden Broschüre nachgeholt werden.

Ärgerlich wird es, wenn trotz der Bemühung, die Gruppen nicht als homogen darzustellen, kollektive Zuschreibungen auftauchen, die nicht mehr auf soziale Erfahrungen wie Ausgrenzung zurückgeführt werden. So ist etwa pauschal vom „äußerst ausgeprägten Familiensinn“ oder dem „mangelhafte(n) Bewusstsein von der Tragweite menschenverachtender Äußerungen“ unter Russlanddeutschen die Rede.

Gerade für eine Reihe, die Strukturen von Diskriminierung offenlegen will, ist das unverzeihlich. Aber dennoch – Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft muss ein Thema sein, und dafür ist mit dem vorliegenden Heft ein guter Anfang gemacht. SONJA VOGEL

Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage (Hg.): „Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft“. Zu beziehen über www.schule-ohne-rassismus.org