Heiliger Grusel – Lektüre zur Triebabfuhr

CRIME SCENE Zum Fest der Feste steigt gelegentlich die innere Gewaltbereitschaft – gut, wenn man da einen dicken Krimi zur Hand hat

Den unheimlichsten Weihnachtskrimi aller Zeiten hat Johan Theorin geschrieben

Was hat Weihnachten falsch gemacht, dass die Verlage immer glauben, man müsste zur Adventszeit unbedingt einen Sammelband mit Kriminalgeschichten aus Skandinavien herausbringen? Nicht dass es verkehrt wäre, zum Fest der Feste einen guten Krimi unterm Baum zu haben. Denn die innere Gewaltbereitschaft kann um die heiligen Tage herum beträchtlich steigen; da verhilft eine möglichst blutige Lektüre ganz nebenbei zur gewaltlosen Triebabfuhr. Die Kurzgeschichte aber – abgesehen davon, dass sie eine Kunst ist, die von den wenigsten KrimiautorInnen beherrscht wird – ist eigentlich nicht das, was der abtauchbedürftige Krimijunkie will. Der Krimijunkie bekommt solche Sammelbändchen zu seinem Kummer immer von wohlmeinenden Nächsten geschenkt, die selbst keine Krimis lesen und auf dem unübersichtlichen Markt nicht durchblicken.

Der seit einiger Zeit auch im Seichten fischende Insel Verlag hat dieses Jahr pünktlich zum Dezember ein solches Geschenksammelbändchen auf die Büchertische des Landes gebracht. Dessen Titel „Mord im Fjord“ (166 S., 7,50 Euro) changiert schon fast schizophren zwischen reißerisch und, wohlmeinend interpretiert, ironisch in Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Manier. Ein Fjord kommt im gesamten Buch nicht vor. Nicht einmal von Mord handeln alle Geschichten. Und ausgerechnet der mit Abstand beste Text des Bandes, Marie Hermansons „Ein Museumsbesuch“, hat nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einer Kriminalgeschichte und wurde wohl nur aufgenommen, um das insgesamt eher bescheidene literarische Niveau etwas zu heben. Das tröstet den Krimijunkie aber nur wenig, der sich immer noch bereithält zum endgültigen Abtauchen in die finsterste aller Weihnachtsstimmungen.

Und dabei kommt einer der unheimlichsten Weihnachtskrimis aller Zeiten in der Tat aus Skandinavien: „Nebelsturm“ (aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps. Piper, 446 S. 19,95 Euro), der zweite Roman des Schweden Johan Theorin, kam vor genau einem Jahr, auch pünktlich zur Adventszeit, auf den deutschen Markt. Theorin ist definitiv einer der Leuchttürme über der schwedischen Krimischreiberflut. Mit seinen Öland-Romanen (im Januar erscheint der dritte auf Deutsch) hat er, in einer kühnen Kurzschließung des modernen Kriminalromans mit der altehrwürdigen Schauergeschichte, ein neues Genre begründet: den Gruselkrimi. Ganz nebenbei deutet Theorins Roman Weihnachten um zum heiligen Geisterfest und gemahnt damit an den heidnischen Kern des Lichterfests, das Germanen, Wikinger und all die anderen Nordländer dann feierten, wenn die Welt am finstersten war und man im Dunkeln umgeben war von Geistern aller Art.

„Nebelsturm“ spielt auf der winterlich unwirtlichen Insel Öland, wo der junge Witwer Joakim allein mit seinen zwei kleinen Kindern lebt, seit seine Frau ums Leben kam. Dass es bei jenem Unglücksfall nicht mit rechten Dingen zuging, ahnt Joakim lange nicht, bemerkt auf seinem alten Anwesen jedoch manch eigenartige Dinge. Nebenbei nimmt eine handfeste Kriminalhandlung ihren Gang, in der eine junge Polizistin, die von den Kollegen nicht für voll genommen wird, sich erste Sporen verdienen muss.

So allmählich wie unaufhaltsam, man ahnt es, bewegen sich beide Handlungsstränge aufeinander zu. Theorin nimmt sich als der wahre Erzähler, der er ist, dafür alle Zeit der Welt. Und das ist sehr, sehr gut so. Denn wenn man sich erst einmal auf diese traurig-schaurige Erzählung eingelassen und sich dabei weit, sehr weit die Decke über die Ohren gezogen hat, dann ist der Krimijunkie, endlich, für den Rest der Welt taub und blind. Und das ist ein wahrhaft heiliger Zustand, der gern ein bisschen andauern darf. KATHARINA GRANZIN