ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Thilo Sarrazin, großer Ichling – kleine Welt

Die Kanzlerin hält seine Äußerungen für indiskutabel, die SPD-Chefs Nahles und Gabriel legen ihm den Austritt aus der Partei nah. Sozialdemokrat Thilo Sarrazin, Exfinanzsenator Berlins und jetziger Bundesbankvorstand macht Schlagzeilen. Am Montag erscheint sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ im dva-Verlag. Seit der Spiegel diese Woche Auszüge daraus veröffentlichte, schwappt die Erregung durchs Land.

Denn Sarrazin, des Spiegels neuer Vordenker, möchte nicht, „dass das Land meiner Urenekel in weiten Teilen muslimisch ist“. Und auch nicht, dass „der Weg in den deutschen Sozialstaat nicht ohne Wegezoll möglich sein“ soll. Stattdessen soll „für alle, die nicht deutsche Staatsbürger sind, eine zentrale bundesweite Datenbank eingerichtet“ werden.

Huih, wie klingt das denn? Sarrazin, der Beamtenaufsteiger, scheint völlig durchgedreht. Andere freuen sich an Mesut Özil oder Sami Khedira. Nicht Sarrazin, der feilt an seinen vergifteten Sätzen. „Wir wollen keine nationalen Minderheiten. Wer Türke oder Araber bleiben will und dies auch für seine Kinder möchte, der ist in seinem Herkunftsland besser aufgehoben. Und wer vor allem an den Segnungen des Sozialstaats interessiert ist, der ist bei uns schon gar nicht willkommen.“

Warum bläst der Spiegel das zu einer Debatte von nationaler Tragweite auf? Traut man der Ruhe auf der rechten Flanke etwa nicht, seit man in Deutschland mit dem Ende des institutionell betriebenen Rassismus der Kohl-Ära keinen starken Rechtsradikalismus mehr in der Mitte der Gesellschaft hat? Sarrazin als Testballon, um sich im Zweifelsfall und vorsorglich – ein bewährtes Geschäftsmodell – an die Spitze der Bewegung zu setzen? Das dürfte nix werden. Sarrazin ist ein wirklichkeitsferner Ichling, ein Egomane mit Schlips und Dienstwagen, als Soziologe eine Niete. Er verwürfelt Sozialstatistiken mit Abstammungs- und Kulturkreistheorien, so wie es die neuen und alten Rechten halt gerne tun. Aber was will der Spiegel, was wollen wir mit dem dummen Zeug?

Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz. Foto: privat