NINA APIN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Die Welt und der innere Berlusconi

Was ist bloß los mit Italien? Wie kann es sein, dass ein Ministerpräsident, der mit Justizskandalen und Rotlichtaffären von sich reden macht, seit 17 Jahren die politische Szene beherrscht? Warum wird dieser geliftete Playboy, der einen Großteil der Medien besitzt und zur Tuttifruttishow umgebaut hat, immer wieder gewählt?

Beppe Severgnini, bis 2003 Italienkorrespondent des Economist und nun Journalist beim Corriere della Sera, versucht, diese Fragen in Buchform zu beantworten. „Überleben mit Berlusconi“ (Blessing 2011) bestätigt, was Nichtitaliener schon immer ahnten: Berlusconi ist so erfolgreich, weil er es versteht, sich als Quintessenz des Italienischen darzustellen. Er liebt seine Kinder und seine Mama, versteht etwas von Fußball und vom Geldmachen, liebt schöne Frauen und große Häuser. „B. ist der sprechende Bauch unseres Landes, und ein bauchredender Regierungschef kann sich viel erlauben“, ist Severgninis resignierte Analyse. Zum Beispiel, zum eigenen Wohl eine Amnestie für Steuersünder zu erlassen. Oder sich beim Gipfeltreffen vor Angela Merkel zu verstecken und „Kuckuck!“ zu rufen. Von Bunga-Bunga und „Rubygate“ ganz zu schweigen.

Wo sich der Rest der Welt ans Hirn langt, ist der Großteil der Italiener willens, dem Chef zu verzeihen – weil er gern selbst so wäre. Wo Nachsicht gegen sich selbst mehr gelte als Selbstdisziplin, sagt Severgnini, werde auch von Politikern nicht viel erwartet. „Eine gute Figur machen oder sich anständig verhalten? Das ist für einen Italiener keine Frage, über die er lange grübeln müsste“, so der Autor, der Italien als einen Zug sieht, der auf freiem Feld stehen geblieben ist, weil sich der Lokführer mit dem Zugbegleiter streitet. Und die Passagiere dabei zusehen. Mag ja sein. Liest sich auch lustig, wie Severgnini den „Medici-Faktor“ oder den „T.I.N.A.-Faktor (There Is No Alternative) bemüht, um das Unbegreifliche plausibel zu machen. Aber Berlusconi als Italiener an sich zu begreifen heißt, einem Politiker auf den Leim zu gehen, der sich selbst als Hüter der „Italianità“ stilisiert. Was genauso Blödsinn ist wie die Existenz eines italienischen Nationalcharakters, der nicht mehr ist als ein billiges Konstrukt. E basta.

■  Die Autorin ist taz-Redakteurin Foto: privat