Gestresste Väter, erpresste Mütter

PRIMATOLOGIN Julia Fischer hat ihre Erlebnisse in der Affen-Feldforschung gut lesbar zusammen- gestellt. Eine akademische Pionierleistung

Für deutsche Akademiker ist es eher unüblich, für ein breites Publikum zu schreiben

VON KATHARINA GRANZIN

Affenforscher sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die es in die Wildnis zieht. Auch wer das Sozialleben der Streifenhyäne oder das Siedlungsverhalten der Termiten näherer Betrachtung unterzieht, kommt um längere Aufenthalte „im Feld“ nicht herum. Doch während über das Leben der Diane Fossey oder der Jane Goodall Filme gedreht wurden, ist noch kein Termitenforscher als Legende in die Populärkultur eingegangen.

Affen ziehen uns besonders an, da wir uns in ihnen spiegeln, uns anhand ihres Affenseins unser Menschsein vergegenwärtigen. PrimatologInnen, die besonders ausdauernd im Feld leben, umgibt daher die Aura jener, die die Grenzen des Menschseins wenn schon nicht überschritten, so doch zumindest berührt haben. Es ist wohl eine Art Erkenntniserwartung a priori, die uns zu einem Buch über Affen eher greifen lässt als zu einem über Schmetterlinge.

In ihrer Einleitung zu „Affengesellschaft“ schreibt die Göttinger Primatologin Julia Fischer: „Ich finde den Menschen im Affen bemerkenswerter als den Affen im Menschen.“ Das ist eine ziemlich aufschlussreiche Formulierung. Aber was (oder wer) soll das überhaupt sein: der „Mensch im Affen“?

An anderer Stelle im Buch setzt Fischer sich explizit von „anthropozentrischer“ Primatenforschung ab, so dass ihr eigener Standpunkt zumindest ambivalent erscheint. Fischers eigener Forschungsgegenstand sind vornehmlich Berberaffen und Paviane, keine Menschenaffen mithin, die eine anthropozentrische Sichtweise noch mehr herausfordern würden.

Affe und Kostüm

„Affengesellschaft“ ist eine Mischung aus Forschungsberichten, Erzählungen vom Leben in den Forschungsstationen und Kürzestzusammenfassungen wichtiger kognitions- und kommunikationstheoretischer Theorien. Insbesondere über Berberaffen erfährt man viel Interessantes, unter anderem, dass Berberaffenweibchen bei der Kinderaufzucht ebenso viel lernen müssen wie Menschenmütter.

Fischer erzählt von einer sehr jungen Affenmutter, die sie über längere Zeit beobachtete und die ihr Kind anfänglich nicht nur verkehrt herum mit sich herumtrug, wenn sie es nicht gar vergaß, sondern sich sogar versehentlich daraufsetzte. „Nach einigen Tagen hatte sie den Bogen raus“, kommentiert die Forscherin trocken, die auch von dramatischen Szenen zu berichten weiß, wenn junge Äffchen von der Mutterbrust entwöhnt werden: „Manche Kinder scheinen ihre Mütter regelrecht zu erpressen: Sie stürzen sich vom Baum, schlagen Saltos und wälzen sich im Staub.“

Weit mehr als bei anderen Affenarten geben sich bei den Berberaffen auch die Männchen mit ihrem Nachwuchs ab und ziehen daraus sogar beträchtlichen Statusgewinn. Bei Männchen, die sich besonders viel um Jungtiere kümmerten, konnten Fischer und ihre Kollegen allerdings einen deutlich überdurchschnittlichen Stresshormonspiegel feststellen.

Fischers Buch ist dort am besten, wo die Autorin eigene Beobachtungen und Forschungsergebnisse festhält. Auch ihre Schilderungen des Drumherum sind anschaulich und vermitteln einen recht guten Eindruck davon, unter welchen Bedingungen Feldforschung überhaupt zustande kommt. Ohne die Hilfe ihres einheimischen Beraters etwa wäre die Forscherin nie auf die Idee gekommen, ein schickes Kostüm kaufen zu gehen, um damit bei der zuständigen Behörde im Senegal Eindruck zu machen und endlich einen dringend benötigten amtlichen Stempel zu bekommen.

Leopard oder Schlange

Doch der Schwung, der die Schilderung ihrer eigenen Experimente trägt, geht zunehmend verloren, wenn Fischer die Arbeit von Kollegen referiert. Die Nacherzählung von Experimenten gerät mitunter recht langatmig. Es ist zwar erhellend, vorgeführt zu bekommen, wie lange Feldforscher sich abmühen müssen, um festzustellen, ob Paviane tatsächlich zwischen einem Leoparden- oder einem Schlangenwarnruf unterscheiden können.

Die Sinnhaftigkeit der Feldexperimente erschließt sich dem Laien dagegen nicht immer auf Anhieb. Und das liegt womöglich auch daran, dass die Autorin inhaltlicher Einbindung grundlegender kognitionstheoretischer und linguistischer Theorien, die ja im Hintergrund stehen, eher zu wenig Platz einräumt. Etwas mehr populärdidaktisch aufbereitete Theorie hinter der Praxis hätte hier keineswegs gestört.

Anders als in der angloamerikanischen Wissenschaftslandschaft ist es für deutsche Akademiker ja eher unüblich, Bücher für ein breiteres Publikum zu publizieren, in denen Forschung und Leben gemeinsam in eine lesbare, womöglich gar unterhaltsame Form gebracht sind. Daher ist Fischers Buch als Pionierleistung in einem noch recht unerschlossenen Genre durchaus hoch zu schätzen.

Und Affen, so wissen wir jetzt immerhin, scheinen ein schier unerschöpflicher Forschungsgegenstand zu sein. Und sei es nur deshalb, weil wir doch vom „Menschen im Affen“ so fasziniert sind.

Julia Fischer: „Affengesellschaft“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 281 Seiten, 26,95 Euro