Sonderrichter als Justizsenator

„DRITTES REICH“ Vom „Völkischen Beobachter“ in die Bremer Bürgerschaft: Nun liegen die Einzeldaten der Parlamentarier-Studie zur NS-Vergangenheit vor

■ „Die NS-Vergangenheit früherer Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft“ von Karl-Ludwig Sommer ist in den „Kleinen Schriften des Staatsarchivs Bremen“ erschienen, umfasst 176 Seiten und kostet im Buchhandel 7,50 Euro. Bei Selbstabholung in der Bürgerschaft ist das Buch kostenlos.

Als die Studie zur NS-Vergangenheit der Bürgerschafts-Abgeordneter im April vorgestellt wurde, gab es Kritik. Die Herausgeber hatten zunächst auf die individuelle Herausarbeitung und Nennung der Namen der 96 Betroffenen verzichtet, um Effekte wie etwa in Wiesbaden zu vermeiden: Als dort auf Initiative der Fraktion der Linkspartei eine entsprechende Studie vorgestellt worden war, ging es in der anschließenden erregten Debatte nur um prominente Einzelfälle.

Ähnlich war es vor zwei Jahren in Niedersachsen. „Das wollten wir anders machen“, sagt Staatsarchiv-Direktor Konrad Elmshäuser, der die Untersuchung anregte. Nun aber liegt eine Publikation vor, die in 96 Biografien akribisch nachzeichnet, welcher Abgeordnete wann und in welcher Weise ins NS-System eingebunden war.

Im Auftrag der Bürgerschaft, dem bislang einzigen Landtag, der eine solche Untersuchung selbst beauftragte, hat der Historiker Karl-Ludwig Sommer die Lebensläufe von gut 400 Abgeordneten untersucht, die altersmäßig involviert sein konnten. Unter dem knappen Viertel mit NS-Vergangenheit war mit Karl Pfeifer zwar der Hauptschriftleiter der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters. Ansonsten aber gab es nach jetzigem Kenntnisstand keine besonders hochrangigen Kader.

Dafür machten einige nach 1945 Karriere: Sieben gehörten dem Bürgerschafts-Vorstand an, zehn waren Fraktionsvorsitzende, zehn sogar Senatoren.

Etwa Justizsenator Erich Zander, der im „Dritten Reich“ als Richter und Staatsanwalt an einem NS-Sondergericht tätig war. „Aus dieser Zeit sind von ihm viele sehr einschlägige Zitate dokumentiert“, sagt Sommer. Nach dem Krieg war Zander zunächst in der Kanzlei der Bremischen Evangelischen Kirche tätig, zwischen 1955 bis 1959 dann Justiz- und Kirchensenator. Noch 1995 hatte Bremen zwei Landtagsabgeordnete, die der NSDAP beziehungsweise SS angehört hatten. Der Abgleich mit der NS-Gewaltverbrecher-Datei des Münchner Instituts für Zeitgeschichte ergab keine Treffer.

Bremer Straßen oder Schulen müssen jetzt wohl nicht umbenannt werden, da die Betroffenen dort nicht verewigt sind. Bürgerschafts-Präsident Christian Weber (SPD) würde aber gerne eine weitere Studie anschließen: „Ich möchte wissen, in welchem Umfang die Parlamentarier mit NS-Vergangenheit inhaltliche Seilschaften bildeten.“

Doch für eine solche Arbeit fehle bislang das Geld. Die vorliegende Studie war mit 80.000 Euro vergleichsweise günstig, da sich Bremen, in Gegensatz zu Niedersachsen, nur einen Werkvertrag geleistet hatte. Sommer betont trotzdem: „Ich hätte große Lust, weiterzumachen.“ Weber hofft nun auf einen neuerlichen Anlauf in der kommenden Legislaturperiode.  HENNING BLEYL