Alte Ideen für neue Schulen

ARCHITEKTUR Jürgens-Pieper will das Schulsanierungs-Programm verstärkt an qualitativen Maßstäben ausrichten. Anschauungsmaterial bietet eine Ausstellung im Rathaus

Die Warnung vor der „Vermassung“ von Schule wurde durch den Geburtenboom zur Makulatur

von Henning Bleyl

Die Umstellung der Schullandschaft in Richtung Ganztagsschule ist auch eine architektonische Herausforderung. Wo man acht Stunden lang lernt, isst und lebt, wird die bauliche Umgebung noch wichtiger, als sie es ohnehin schon ist. Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch Schulsenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) sehr interessiert an der Ausstellung „Der dritte Lehrer – Bauen und Bildung in Bremen“. Seit gestern ist sie in der unteren Rathaushalle zu sehen.

„Wir unterschätzen die Bedeutung von Architektur“, sagt die Senatorin, die „bloße Aneinanderreihung von Gebäude-Sanierungen bringt es nicht.“ Bremens rund 200 real existierende Schulgebäude sind diesbezüglich eine bunte Mischung. Da gibt es die Bauten der Kaiserzeit, deren strenge Symmetrie die zweigeschlechtliche Erziehung spiegelt: Separate Eingänge für Mädchen und Jungen, die Turnhalle in der Mitte dient als Sperrriegel. Neben den teil-modernisierten Großschulen der 70er spielen auch die Reformbauten der 50er und frühen 60er wie die Berufsschule am Doventor eine Rolle: In dieser Ära galt Bremen als bundesweiter Vorreiter in Sachen Schulbau.

Dabei spielten historische Zufälle eine Rolle: Der Education Officer der für Bremen zuständigen US-Einheit war Schüler des Reformpädagogen John Dewey, Erfinder des „Learning by doing“-Slogans. Praktische Folge: Fast die gesamte Bremer Bildungsbehörde wurde nach 1945 mit ehemaligen Versuchsschullehrern besetzt. Prägender Kopf wurde Schulrat Wilhelm Berger.

Es ist ein Verdienst der gemeinsam vom Bremer Zentrum für Baukultur und dem Schulmuseum erarbeiteten Ausstellung, die Errungenschaften der drei zwischen 1920 und 1933 existierenden Bremer Versuchsschulen wieder ins Bewusstsein zu heben. Sie sollten insbesondere das kreative Potential von Arbeiterkindern fördern. Doch während in SPD-regierten Großstädte wie Frankfurt am Main und Berlin auch entsprechende reformpädagogische Schulgebäude entstanden, mussten sich die Bremer Versuchsschullehrer mit wilhelminischen Schulkasernen arrangieren.

Sie taten es mit Elan: Gegen den Willen der damaligen Bildungsbehörde rissen sie, um die Frontalausrichtung des Unterrichts aufzubrechen, die Bänke aus den Verankerungen. In den Kellern entstanden Werkstätten, auf dem Dachboden beispielsweise der Schule an der Schleswiger Straße wurden große Webstühle aufgebaut. Selbsttätigkeit statt reines Bücherwissen war angesagt, Lernen im lebenspraktischen Kontext. An der Stader Straße baute die Schülerschaft Kartoffeln an, verkaufte sie an die Eltern und finanzierte so die eigene Schülerzeitung.

Schulrat Berger formulierte Grundsätze, die bis zu seiner Pensionierung 1965 Gültigkeit hatten. Der Unterricht solle, zwecks Hierarchieverflachung, in quadratischen Räumen mit beweglichem Mobiliar stattfinden. Statt Geschoss- sollten Flachbauten errichtet werden. Bergers Warnung vor der „Vermassung“ wurde allerdings durch den Geburtenboom der 60er zur Makulatur. Auch die ideologische Orientierung änderte sich: Ab 1.000 Schülern galt die Größenordnung zwecks mehrzügiger Binnendifferenzierung als brauchbar.

Neben monumentalen, wahlweise monströsen Neubauten wie der der Gesamtschule Ost entstanden die berüchtigten „Mobilbauten“. Ein Provisorium zur Nachrüstung schon vorhandene Standorte, das in vielen Fällen bis heute Bestand hat. Doch die Erfahrungen der Vergangenheit, verspricht die Senatorin, sollen in die aktuellen Modernisierungsplanungen einfließen.