Die Wache als Künstlerwohnheim

FESTIVAL „Outnow!“ füllt die Schwankhalle mit spannenden Produktionen – und das frühere Polizeirevier Süd mit schlafenden Künstlern. Sie ruhen auf historisch gesättigtem Terrain

Studierende der Saarbrücker Hochschule für Bildende Künste eröffnen den Samstagabend mit „Tropisch 2“, einem inszenierten Schwitzkasten für zwei Personen (18 Uhr). Für Sonntag ist unter anderem die „Hochburg der Sünden“ zu empfehlen, mit der Angehörige der Filmakademie Stuttgart Volker Löschs dortige Medea-Inszenierung dokumentieren. Beginn ist um 12 Uhr.

■ Bis auf die Street-Performances finden alle Aufführungen des Festivals in der Schwankhalle statt. Das gesamte Programm: www. schwankhalle.de/outnow

Von HENNING BLEYL

Die umfangreiche Flaschensammlung im Fahrradschuppen macht stutzig. Die Etiketten künden von Alkohol. Das sind doch nicht etwa Überbleibsel des „Einsatzdienstes Süd“? Bis 2008 residierte er im Klinkerbau in der Schulstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Shakespeare Company, jetzt verrichten die Beamten ihren Dienst in der neuen Airport-Wache. Und ihr Altglas? „Das ist unsers, das haben wir mühevoll gesammelt“, stellt Anne Hirth klar. Sie ist die künstlerische Leiterin des Festivals „Outnow!“ Und somit auch zuständig für all die Flaschen, die in der Produktion „Zwillinge“ am Freitag in der Schwankhalle auf die Bühne kommt.

Die dazugehörigen Schauspieler schlafen zusammen mit den anderen „Outnow!“-Künstlern im alten Polizeirevier, bewacht von fünf verbliebenen Kontaktbeamten im vorderen Gebäudezipfel. Die haben auch schon Kirchentagsbesucher kommen und gehen sehen, mit derlei Zwischennutzungen hangelt sich die 3.500 Quadratmeter-Immobilie ihrer endgültigen Bestimmung entgegen: Ostern 2011 soll die Oberstufe der Schule am Leibnizplatz einziehen.

Die gemeinsame Künstlerunterkunft gehört seit 2009 zu den Eigenheiten von „Outnow!“ – einem Festival, das vor allem der Vernetzung von Schauspielschülern und Kunststudenten aller Sparten dient. Das Bremer Publikum profitiert durch frische Produktionen, die gagenfrei gegeben werden (siehe Kasten). Diesmal werden an die 100 Künstler neun Tage lang zusammen wohnen. Dreimal soviel wie im vergangenen Jahr, als „Outnow!“ erstmals mit einem kollektiven Nächtigungskonzept arbeitete. Damals stand dafür das gründerzeitliche Pförtnerhaus der Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld am Kirchweg zur Verfügung.

Der Charme des ehemaligen Polizeireviers ist anders gelagert. Hier wird die Hässlichkeit des 80er Jahre-Innendesigns zur stilbildenden Qualität, als Highlights können die Wandgemälde von Kollegenhand gelten. „Für die Beamten vom 12. Revier“ steht als Widmung unter einem Bremen-Fresko. Immerhin führen die grau belegten langen Gänge zu relativ kleinen Zimmern. Die dort aufgestellten Metallbetten stammen von der Bundeswehr, erläutert Hirth – wodurch sich ein Kreis schließt: Die Polizei war bei ihrem Einzug 1950 ihrerseits Nachnutzerin des Militärs. Das Reviergebäude ist der letzte Rest einer umfangreichen Kasernenanlage, zu der die gesamte Neustadtscontrescarpe als Exerziergelände gehörte.

„Durch das gemeinsame Wohnen wollen wir ermöglichen, dass sich die Teilnehmer wirklich kennen lernen und über das Gesehene austauschen“, erläutert Hirth. Statt der auf anderen Festivals wie dem Hamburger „Körber Studio Junge Regie“ üblichen Konkurrenz- und Wettbewerbssituation soll ein Gemeinschaftsgefühl entstehen.

Bei nächtlichen Flurparties muss man allerdings mit wenig kuscheligen PVC-Fliesen vorliebnehmen. Alternativen fände man im – allerdings polizeilich versiegelten – Keller. Dort gibt es großzügig ausgebaute Partyräume samt Theke und Fachwerk-Imitat. Übrigens nur wenige Meter entfernt vom mittelalterlich anmutenden Zellentrakt.

Für die morgendliche Ertüchtigung steht ein kleiner gedielter Saal zur Verfügung – an dessen Kletterbalken schon Turnvater Jahn gehangen haben könnte. Im angrenzenden Raum ist die Wand durchlöchert. Schussübungen? Nicht doch, abgeschraubte Regale. Im Empfangsbereich im Erdgeschoss kann, wer mag, die Meldung eines gestohlenen Fahrrads nachspielen, aber für derlei Location- und Biographietheater fehlt den Teilnehmern vermutlich die Zeit: Bis kommenden Samstag stehen insgesamt 30 Produktionen auf dem Programm.