Ein Familienfilm der Modersohns

HIPPEN EMPFIEHLT An dem Dokumentarfilm „So weit und groß – die Natur des Otto Modersohn“ hat dessen Urenkel Regie geführt, und eine Enkelin hat das Buch geschrieben

Die mit der Patina von altem Filmmaterial überzogenen Schwarzweißbilder erzeugen eine altmodisch weihevolle Stimmung

VON WILFRIED HIPPEN

Wie schwierig es ist, eine Künstlerdynastie intakt zu halten, wird immer wieder gerne anhand der realen Familienromane der Wagners und Manns erzählt. Von den Modersohns wird es solch eine Geschichte „vom Verfall einer Familie“ wohl kaum so bald geben, stattdessen kommt jetzt gerade so etwas wie ein Gegenentwurf dazu in die Kinos.

Der 29-jährige Fotograf Carlo Modersohn, ein Urenkel des Malers, führte Regie bei diesem Portrait des Worpsweder Malers, dessen Enkelin Marina Bohlmann-Modersohn schrieb das Drehbuch, und als Leiterin des Otto-Modersohn-Museums in Fischerhude war Antje Modersohn, eine weitere Enkelin, die Auftraggeberin. Einen distanzierten oder gar kritischen Blickwinkel darf man bei solch einer Familienproduktion nicht erwarten, und auch dramaturgische oder stilistische Originalität wird man hier kaum finden.

Immerhin ist interessant, dass dieser Dokumentarfilm ganz ohne eigene Bilder auskommt. Natürlich wird irgend jemand mit einer Kamera all die Gemälde und Zeichnungen von Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und anderer Künstler jener Epoche aufgenommen haben, aber diese Arbeit war offensichtlich handwerklich so anspruchslos, dass im Abspann die Kamera gar nicht erwähnt wird. Stattdessen beschränkt sich Carlo Modersohn ganz auf zeitgenössische Quellen, wobei die historischen Filmaufnahmen von Modersohns Geburtsort Soest allerdings kaum, wie von der Erzählstimme suggeriert, aus dem späten 19. Jahrhundert stammen können.

Aber diese oft unscharfen und mit der Patina von sehr altem Filmmaterial überzogenen Schwarzweiß-Bilder erzeugen eine altmodische, weihevolle Stimmung, zu der auch die Erzählstimme von Hanns Zischler beiträgt. Sie wirkt immer wissend und kultiviert, selbst wenn der gesprochene Text so sachlich, ja fast pedantisch verfasst ist, als würde man eine Museumsführung durch eine eifrig bemühte Kunstpädagogin miterleben.

Aber zum Glück hört man noch andere Stimmen, denn es wird ausführlich aus Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Texten von Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und deren Freund Rainer Maria Rilke zitiert. Und diese von SchauspielerInnen einfühlsam gesprochenen Passagen sind es, durch die viel vom Lebensgefühl und Zeitgeist der Künstler vermittelt wird.

Natürlich steht Modersohns Arbeit in Worpswede und Fischerhude im Mittelpunkt und der sowohl schöpferische wie auch dramatische Höhepunkt ist das komplizierte Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau Paula Modersohn-Becker, deren früher Tod als ein großer Bruch in Modersohns Leben geschildert wird. Modersohns Rolle im Dritten Reich, als er als tief deutscher Künstler hofiert wurde, während die Bilder von Paula Modersohn-Becker als entartete Kunst verboten wurden, wird in einem Satz kurz angerissen, aber nicht tiefer behandelt. Da hätte es sicher auch ein paar interessante Zitate aus jener Zeit gegeben, aber davon wollten die Modersohns lieber nicht erzählen. Schließlich soll mit diesem Film nicht das Hässliche sondern die Kunst gefeiert werden, und dies gelingt am besten dann, wenn ganz schlicht die Bilder von Otto Modersohn gezeigt werden. Dabei arbeitet Carlo Modersohn zwar konventionell, aber durchaus auch inspiriert in langen Einstellungen – letztlich ist die größte eigene schöpferische Leistung in diesem Film der Schnitt, denn er hat einen ruhig, fließenden Rhythmus, der angenehm den norddeutschen Landschaften und der intimen Atmosphäre in den Bildern seines Urgroßvaters entspricht. Die Familie kann stolz sein.