Kunst vom Nachbarn

MEAT AND GREET In Walle eröffnete am Sonntag eine Galerie neuen Typs: Im „Fleischwolf“ zeigt die Galeristin Frauke Szesny in Zukunft das, was den Besuchern gefällt

VON ANDREAS SCHNELL

Es klingt ein bisschen nach den guten alten Berlin-Mitte-Zeiten, in denen der Blumenladen kein Blumenladen war, sondern eine Galerie, eine Bar, ein Club – oder alles zusammen. Denn Bremens jüngste Galerie residiert in einer alten Fleischerei. Allerdings: Das alte Mobiliar ist längst verkauft, und auch die Fassade trägt keine Spuren der Geschäftsgeschichte mehr. Immerhin: Als eines der letzten Gebäude in der Straße hat es noch ein Ladenlokal, das an die Zeiten erinnert, als die Osterfeuerbergstraße noch eine richtige Einkaufsstraße war, in der sich Geschäft an Geschäft reihte, bis der Niedergang des Einzelhandels dem ein Ende bereitete. Die Studentin Frauke Szesny sorgt nun für künstlerisches Leben im Quartier: Die alte Familienfleischerei wird zur Galerie. Und schon der Name dieser Galerie, „Fleischwolf“, deutet an, dass es sich dabei nicht um eine ganz gewöhnliche ihrer Art handelt, wo betuchte Menschen am Rotwein nippen und drei- bis vierstellige Summen für Gemälde hinlegen. Der „Fleischwolf“ setzt auf Partizipation und Offenheit, einen nicht-elitären Kunstbegriff. Hier kann jeder und jede ausstellen. Das ist ganz einfach: Auf der Internetseite der Galerie (siehe unten) steht oder liegt, wie sagt man da, jedenfalls ein Formular als Download bereit, auf dem man sein Kunstwerk zur Ausstellung anmelden kann. Die einzige Beschränkung ist räumlich: Der Ausstellungsraum ist lediglich 30 Quadratmeter groß, da verbieten sich monumentale Plastiken von selbst. Ansonsten ist alles erlaubt: Malerei, Fotografie, Installation, auch Videoarbeiten können gezeigt werden – und der „Fleischwolf“ soll auch keine Galerie für Amateure sein. Profis dürfen sich auch bewerben. Bevorzugt werden sie allerdings nicht.

Aber Frauke Szesny, die mit diesem Projekt zugleich ihr Bachelor-Studium der Kunstpädagogik abschließen will, geht noch weiter: Das Publikum entscheidet nämlich, welche Arbeiten auch noch im Folgemonat gezeigt werden. Mit einem „Be-Wert-Coupon“, den es gegen eine kleine Spende gibt, können die Besucher und Besucherinnen abstimmen, welche drei Kunstwerke es in den nächsten Monat schaffen. Von der Größe der Arbeiten und der Anzahl der eingereichten Werke hängt es dann ab, wie die nächste Ausstellung aussieht. Weshalb es auch, je nach Zuspruch, vorkommen kann, dass manche Künstler ein paar Monate warten müssen, bis sie drankommen.

„Dieser Galerieansatz hat einen starken Vemittlungscharakter: Trau dich, zeig mal, was du machst!“, erläutert Szesny den kunstpädagogischen Aspekt ihrer Idee: „Wenn ich in die Kunsthalle gehe, stehen da große Namen wie Picasso und man darf den Kunstwerken nicht zu nahe kommen. Das schafft Distanz. Bei mir ist es das komplette Gegenteil. Es könnte dein Nachbar sein, der hier ausstellt.“ Ihr Konzept wende sich vor allem gegen das klassische Prinzip, dass Kuratoren festlegen, was denn eigentlich Kunst ist. Sie will diese Entscheidungsinstanz umgehen. „Das Projekt läuft natürlich nur, wenn die Leute mitmachen. Wenn niemand ausstellen will oder die Ausstellungen niemand sehen will, dann ist es vorbei. Das Publikum bestimmt also auch, wie lange ich hier durchhalte“, erklärt Szesny.

Eine kleine Erinnerungsecke im Eingangsbereich der Galerie erinnert an die Vergangenheit des Ortes. Reproduktionen uralter Schwarzweiß-Photografien zeigen die Belegschaft der Fleischerei vor dem Haus, die Ururgroßeltern hinterm Tresen, den Firmenwagen. Ein kleiner Audioguide erklärt in acht Minuten die Geschichte des Ortes und der Räumlichkeiten.

Natürlich lädt der historische Hintergrund einer Fleischerei zum Fantasieren ein – die Eröffnungsvernissage nennt Szesny schalkhaft „Meat & Greet“, eine Anspielung auf beliebte PR-Maßnahmen, bei denen beispielsweise Fans ihre Idole treffen („meet“) und begrüßen („greet“) können. Und in einer Fleischerei liegt das „meat“ (Fleisch) natürlich nahe. Hinter dem Namen „Fleischwolf“ verbirgt sich dann aber doch noch mehr als ein schlichtes Wortspiel: „Ich hab mir bildlich vorgestellt, dass da alles einmal durchgewurschtelt wird. Wer mit reinspringen will in den Fleischwolf, darf es gern“, erklärt Szesny.

■ „Meat & Greet“: Sonntag, 18 Uhr, Öffnungszeiten: Sonntag, 8. 7., danach jeden Samstag, 14–18 Uhr, Galerie Fleischwolf, Osterfeuerbergstr. 37, www.galerie-fleischwolf.de