„Wir waren anders“

Der Anwalt Jony Eisenberg, 52, war Tunix-Mitorganisator

taz: Herr Eisenberg, Sie gehörten zu den Mitorganisatoren des Tunixkongresses …

Jony Eisenberg: Also genau genommen waren wir eine Gruppe von Spontis mit schweren Lederjacken, die sich immer in der Gaststätte Spektrum in Berlin-Schöneberg trafen. Ich war damals 22, und wir waren ziemlich intensiv unterwegs.

Intensiv?

Wir haben damals Demos organisiert, vom Hochschulstreik bis zur Protestkundgebung wegen des Todes von Ulrike Meinhof. Aber was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, ist diese Isolation: es gab keine Kommunikationsstrukturen, keinen Zugang zu den Mehrheitsmedien. Das war ja alles eher Sektiererei, und das konnte so nicht weitergehen.

Daher die Idee, einen Kongress zu veranstalten?

Ja. Wir wollten uns nicht mehr nur mit Theorien beschäftigen, sondern etwas tun, eine eigene Öffentlichkeit schaffen, eine Tageszeitung gründen zum Beispiel. Betriebe aufbauen, eine alternative Ökonomie.

Etwas tun …

Ja, wobei wir ja Arbeit eigentlich verachtet haben. Wir waren anders drauf als die 68er, die immer mit Anzug zur Demo gegangen sind und ganz normale bürgerliche Karrieren anstrebten. Wir wollten weder Lehrer werden noch in die Betriebe gehen, um Gewerkschaftsgruppen zu bilden. Eigentlich wollten wir Spaß, unser Ding machen: Undogmatische Linke, das bedeutete auch hedonistische Linke.

Eine eigene Ökonomie gründen – vielleicht auch, weil es sonst keine Perspektiven gab?

Nein, damals konnte man ja noch problemlos Karriere machen, gerade als Akademiker. Am Ende ist aus uns allen ja auch etwas geworden. Wir hatten auch keine Angst vor der Zukunft, so wie die jungen Leute heute. Die Perspektiven waren gut, aber wir wollten eine ganzheitliche Lebensveränderung.

Damals gab es den Vorwurf, dass es der undogmatischen Linken darum ginge, kuschelige Parallelgesellschaften zu schaffen.

Die Vorwürfe kamen von der traditionellen Linken, von den K-Gruppen zum Beispiel. Genau von diesem Autoritären wollten wir weg. Wir hatten keine theoretischen Anforderungen, wenn, dann hatten wir einen Anspruch auf Liberalität, auf Freiheit.

Und der wurde durch Tunix eingelöst?

Der Tunixkongress war meiner Meinung nach die größte politische Leistung meiner Generation. Auch wenn sich manche Entwicklungen auch so durchgesetzt hätten – es war an der Zeit. Und wir sind mit dem Leben zurechtgekommen, ohne uns anzupassen.

INTERVIEW: MARTIN REICHERT