War’n klasse Chaos

Theorie hatte Seltenheitswert. Wichtig war nur die Tat

Vermutlich war das nötig: All den theoretischen Ballast, die untauglichen großen Erzählungen – und heißen sie auch Marxismus – auf den alternativen Misthaufen zu werfen. Das Programm des Tunixkongresses war dazu geeignet, jene Drahtverhaue, in denen Gesellschaftstheorie eingehegt werden sollte, zu sprengen. Weg von den Geboten der Marx’schen Schriften, diesem Impuls folgten die Tunixgute, das trieb sie als Handelnwollende Ende Januar 1978 alle nach Westberlin. Endlich nicht mehr nur klugscheißen, nicht den noch pfiffigeren Dreh von Kapital-und-Arbeit-Analyse erfinden müssen, sondern pragmatisch das Naheliegende probieren. Aufbauen nämlich, eine Gründerzeit ins Leben rufen.

Dass dafür all die schwäbischen Migranten in der Frontstadt prädestiniert waren, also Menschen, die ihrer in die Wolle gewirkten „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Mentalität eine neue Richtung geben wollten, und dass diese Mentalität später die Hausbesetzerbewegung am Leben hielt, versteht sich fast von selbst. Auch bei Tunix hörte man die Tonlage aus Deutsch-Südwest so hartnäckig: Quasi auferstanden aus deutschen Herbstruinen waren sie, sie wollten sich als Alternative nicht fügen. Gut so!

Andererseits hat diese alternative Bewegung natürlich doch so manch Theoretisches hervorgebracht, und Michel Foucault, der als eher nur Eingeweihten bekannter Franzose bei Tunix zuhörte, war nur ein Sprecher. Dass er die iranische Religionsrevolution jubelnd feierte, hätte zu denken geben müssen: Der Mann gab einfach auf die bürgerliche Demokratie wenig, und das war möglicherweise auch die theoretische Schwachstelle der Alternativen von Tunix. Sie hatten es am liebsten im Plenum und störten sich nicht daran, wenn dessen Besucher eher zufällig zusammenkamen.

Tunix versuchte sich in direkter Demokratie – und heraus kam oft doch nur die Herrschaft der Männer. Frauen bei Tunix? Böse Zungen sagten, in der damaligen Sozialdemokratie schon hätten sie mehr Präsenz gehabt als unter den alternativen Eminenzen. SPD-Mann Peter Glotz, ebenfalls zu Gast bei Tunix, bemerkte ebendies: Wo bleibt denn euer Delegationsprinzip ohne Platzhirschgehabe?

Kann sein, dass auch Glotz nicht klar war, dass es genau darum nicht ging – um Regeln und ihre strikte Einhaltung. Sondern darum, dass sich eine Szene als ein Milieu begreifen kann und hierfür Konferenzen wie Tunix nötig waren. Dass man sich verständigt, um eine deutlich vernehmbare Stimme im großen Konzert zu haben. Konsequent, dass aus Tunix die taz entstand. JAF