Aus den Tiefen der Erde

ERDWÄRME Geothermie spielt in Norddeutschland eine immer größere Rolle – dank öffentlicher Zuschüsse und trotz erheblicher Skepsis. Ein Überblick über die aktuellen Projekte

■ Bei der oberflächennahen Geothermie wird in der Regel bis zu 150 Meter tief gebohrt, die Wärmeenergie wird über Erdwärmekollektoren, Erdwärmesonden, das Grundwasser oder Energiepfähle genutzt.

■ Von Tiefengeothermie spricht man bei Bohrungen von mindestens 400 Metern.

■ Die meisten Gebäude in Niedersachsen, die durch Wärmepumpen mit Erdwärme beheizt werden, befinden sich im Emsland, im Randbereich von Hamburg sowie zwischen Hannover und Braunschweig.

■ Das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie bietet im Internet (www.lbeg.niedersachsen.de) unter dem Stichwort „Geothermie – geht das bei mir?“ nähere Informationen.

VON JOACHIM GÖRES

Fünf Prozent der in Deutschland verbrauchten Wärme stammen aus der Erde, Tendenz steigend. André Deinhardt, Geschäftsführer des Bundesverbandes Geothermie, hat auf der 6. Norddeutschen Geothermietagung in Hannover folgende Rechnung aufgemacht: Eine geothermische Bohrung für ein Ein-Familienhaus mit 150 Quadratmeter Wohnfläche kostet rund 20.000 Euro. Je nach geologischer Beschaffenheit des Bodens rechne sich das in sieben bis zwölf Jahren, so Deinhardt.

In Niedersachsen sind im vergangenen Jahr rund 2.000 oberflächennahe Bohrungen bis in eine Tiefe von maximal 400 Meter durchgeführt worden, so viele wie noch nie zuvor. Gerade Unternehmen versuchen so, Energiekosten zu sparen. Bei Volkswagen in Emden wurde beim Neubau einer 63.000 Quadratmeter großen Karosseriehalle auf Geothermie gesetzt. Sie trägt zur Kühlung bei Schweißprozessen und zur Heizung der Halle bei. Laut Thomas Laaken, Umwelt- und Energiebeauftragter bei VW Emden, sind die Investitionskosten für die geothermische Anlage niedriger als für eine Anlage aus Kühlturm, Heizwerk und Fernwärmenetz, das mit Erdgas oder Erdöl betrieben wird. Seine Bilanz: durch den Einsatz der Geothermie werden gegenüber konventionellen Anlagen bei VW Emden pro Jahr 1600 Tonnen CO2 und 25.000 Kubikmeter Frischwasser eingespart.

Nicht immer stimmen die Prognosen allerdings mit den tatsächlichen Ergebnissen überein. So wird seit März 2013 das von den Stadtwerken Osnabrück betriebene Nettebad nach einer 360 Meter tiefen Bohrung mit geothermischer Energie erwärmt. Die angestrebte Leistung, die mit der Erdwärme gedeckt werden soll, wird derzeit aber erst zu 60 Prozent erreicht. „Die regeltechnische Optimierung läuft“, sagt Jens Steffahn von der Geo Dienste GmbH aus Garbsen, die das Projekt betreut.

Finanziell und technisch wesentlich aufwändiger ist die Tiefengeothermie mit Bohrungen bis zu 5.000 Metern und mehr. So betreibt die Erdwärme Neustadt-Glewe GmbH seit 20 Jahren in der mecklenburgischen Stadt ein geothermisches Heizwerk, das 2.000 Haushalte über ein Fernwärmenetz mit Erdwärme versorgt. Bis heute hat sie rund elf Millionen Euro in den Betrieb der Anlage investiert, von 2014 an soll diese sogar erweitert erweitert werden.

„Früher war Erdwärme teurer, aber inzwischen ist sie für den Verbraucher wesentlich billiger als zum Beispiel Erdöl“, sagt Torsten Hinrichs, der technischer Geschäftsführer der Erdwärme Neustadt-Glewe GmbH. Die zeitweilige geothermische Stromerzeugung hat sich nach seinen Angaben allerdings nicht gerechnet – sie wurde 2008 in Neustadt-Glewe eingestellt.

Das norddeutsche Tiefbecken gilt in weiten Teilen als geeignet für die Tiefengeothermie. Derzeit sind unter anderem in Munster in der Heide und im emsländischen Heede Geothermiekraftwerke in Planung, weitere größere Projekte stehen in Hamburg-Wilhelmsburg und in Bad Bevensen an. Großprojekte stoßen allerdings nicht selten auf Widerstand: Zuletzt hatte eine Geothermie-Bohrung in St. Gallen in der Schweiz ein Erdbeben der Stärke 3,6 ausgelöst. „Wenn es in Munster bei den Bohrungen rumst, dann fällt das kaum auf, denn dort knallt es durch den Truppenübungsplatz sowieso den ganzen Tag“, vermutet Versicherungsmakler Achim Fischer-Erdsieck aus Minden. In Wilhelmsburg dagegen könne es sein, dass die Anwohner auf die Barrikaden gehen.

Laut Fischer-Erdsieck hat alleine die Versicherung Münchener Rück in den letzten zwölf Monaten über 40 Millionen Euro an Schadenssumme nach Geothermiebohrungen übernehmen müssen. Nur noch zwei Versicherungen seien überhaupt bereit, Verträge zur Übernahme der Risiken von Geothermieprojekten abzuschließen. „Wichtig für die Zukunft ist, dass alle verfügbaren Informationen zu Geothermiebohrungen öffentlich gemacht werden, um das Risiko zu minimieren“, sagt der Versicherungsmakler. Bisher seien die Daten aus Bohrungen in Deutschland wie Geheimnisse behandelt worden. „Das geht so nicht“, sagt Fischer-Erdsieck.

Ein Problem sind auch die Trinkwasserversorger, die Angst haben, dass bei einer geothermischen Bohrung das Grundwasser verunreinigt werden könnte. Sie fordern deshalb ein grundsätzliches Verbot von Geothermiebohrungen in Trinkwassergewinnungsgebieten, die in Norddeutschland rund 15 Prozent der Gesamtfläche ausmachen. Die Geothermieunternehmen lehnen ein generelles Verbot dagegen ab. „Man muss immer den Einzelfall betrachten“, sagt Bundesverbands-Geschäftsführer Deinhardt. Er verweist darauf, dass bei den rund 500 in Deutschland tätigen Bohrunternehmen heute viel höhere Sicherheitsstandards gelten würden. „Als Verbraucher sollte man darauf achten, dass das beauftragte Unternehmen zertifiziert ist“, so Deinhardt.

Noch spielt das umstrittene Fracking-Verfahren, bei dem Wasser oder Chemikalien zum Aufbrechen von Gesteinsschichten eingesetzt werden, bei der Geothermie keine Rolle, sagt Deinhardt. Das könnte sich aber ändern: 90 Prozent der Fläche in Deutschland seien für die Tiefengeothermie nur nutzbar, wenn bei der Bohrung Fracking-Verfahren eingesetzt würden.

Für Ullrich Bruchmann vom Bundesumweltministerium ist die Zukunft der Geothermie in Deutschland offen: „Wenn es in den nächsten vier Jahren zu keiner Reduktion der Kosten kommt, dann könnte die Politik die Lust verlieren, die Geothermie weiter mit dreistelligen Millionenbeträgen zu unterstützen“, sagt er. Doch die Wirtschaft arbeitet bereits daran: In Celle soll bis Jahresende ein zehn Millionen teurer Bohrsimulator seine Arbeit aufnehmen – er soll dabei helfen, die Tiefengeothermie billiger zu machen.