„Verdrängung in vollem Gange“

GENTRIFIZIERUNG Rainer Zwanzleitner wohnt mit gemischten Gefühlen im Wohnprojekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg

■ 67, ehemals selbständig, nun Rentner, war während der Bauzeit „Baubegleiter“ für das Wohnprojekt der IBA in Wilhelmsburg.

taz: Herr Zwanzleitner, Sie wohnen im „Open House“, dem ersten Bauprojekt der Internationale Bauausstellung (IBA), das den neuesten Klima-Standards entspricht. Wie lebt es sich da?

Rainer Zwanzleitner: Die Wohnungen sind schön geworden und das Raumklima ist angenehm.

Energieeffizient neu zu bauen, ist teuer. Wie hoch ist die Miete?

Die Netto-Kaltmiete für das Wohnprojekt Schipperort e.V. im Westflügel des Gebäudes beträgt 9,60 Euro pro Quadratmeter. Durch Mietzuschüsse der Wohnungsbaukreditanstalt betragen die Mieten der anderen Wohnungen zur Zeit zwischen 5,60 und 6,80 Euro pro Quadratmeter. Die erhöhen sich aber alle zwei Jahre um 20 Cent. In dem technischen Standard zu bauen, war nur durch die finanzielle Beteiligung der IBA möglich. Nur durch Mieten in unserer Größenordnung wäre das nicht machbar gewesen.

Das Wohnprojekt wurde gemeinschaftlich geplant. Wie lief das ab?

Die Grundform des Gebäudes, ein dreiflügeliger, Y-förmiger Bau, war Ergebnis eines Architektenwettbewerbs und wurde von zwei Bauherren umgesetzt. Im Südflügel hat die Stadtentwicklungsgesellschaft Steg Eigentumswohnungen gebaut. Die künftigen Eigentümer konnten dort den Innenausbau der Wohnungen selbst vornehmen. Den Ost- und Westflügel hat die Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G. gebaut. Im Ostflügel gibt es große Wohnungen, die von der Genossenschaft als Sozialwohnungen vermietet werden. Die Mieter haben daran nicht mitgewirkt. Das Wohnprojekt Schipperort, das den Westflügel bewohnt, war beteiligt an der Gestaltung der Wohnungsgrundrisse und konnte teilweise auch bei der Ausstattung mitreden. Wir haben uns dabei aber häufig eine bessere Kommunikation gewünscht.

Wer konnte im „Open House“ einziehen?

In den Eigentumswohnungen der oder diejenigen, die eine solche Wohnung kaufen konnten. In den Ostflügel Familien oder Wohngruppen, die eine Berechtigung für eine Sozialwohnung haben und in das Wohnprojekt Menschen mit niedrigem, mittlerem und höherem Einkommen und Behinderte. Wobei die Mieter viel Geld als zinslose Darlehen zahlen mussten: 100 Euro pro Quadratmeter im Ostflügel und die Bewohner des Wohnprojekts sogar bis zu 250 Euro pro Quadratmeter.

In Wilhelmsburg lagen die Mieten 2000 noch im Schnitt bei 3,50 Euro. Nun gibt es immer weniger bezahlbare Wohnungen. Wie sehen Sie die Rolle Ihres Wohnprojekts?

Zwiespältig. Unsere Mieten liegen deutlich unterhalb der Neuvermietungspreise in Wilhelmsburg von rund zehn Euro pro Quadratmeter. Weil die Mieten subventioniert sind, sind wir also nicht direkt Schrittmacher des Mietenwahnsinns. Aber Wohnprojekte sind heute „in“ und vermitteln Urbanität und Vitalität, die auf die Umgebung ausstrahlen – und so, gewollt oder ungewollt, zur Aufwertung beitragen.

Das „Open House“ liegt im Reiherstiegviertel, wo die Mieten besonders steigen. Gibt es Konflikte zwischen den neuen und den alten BewohnerInnen?

Das Open House heißt so, weil es einen großen Durchgang vom Vogelhüttendeich zum Kanal gibt, den Kinder, Jugendliche, Eltern benutzen. Dadurch sind wir eng mit der Nachbarschaft verbunden. Viele Kinder spielen auf dem großen Spielplatz an unserem Haus. Anfangs waren Berührungsängste zu beobachten, die scheinen aber überwunden zu sein.

Erreicht die IBA eines ihrer selbst erklärten Ziele: Aufwertung ohne Verdrängung?

Das ist IBA-Logik: Neue Bevölkerungsschichten sollen Wilhelmsburg bewohnen, ohne die zu verdrängen, die bereits dort sind. Wenn das so wäre, hätten vorher tausende Wohnungen leer stehen oder jetzt tausende gebaut werden müssen. Danach sieht es aber nicht aus. Im Gegenteil: Die angelockten Zuzugswilligen treffen auf einen sehr angespannten Wohnungsmarkt. Auch wegen massiver Umbaumaßnahmen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga sind derzeit hunderte Wohnungen dem Markt entzogen. Die Mieten steigen und Alteingesessene haben, wenn sie umziehen müssen, keine Chance. Die Verdrängung ist also in vollem Gange.

INTERVIEW: LENA KAISER