„Sozialverträgliche Dichte“

HAFENCITY Ingrid Breckner ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der Hamburger Hafencity-Universität und hat die künftige Nachbarschaft ihrer Hochschule untersucht. Ein Gespräch über städtebauliches Gelingen und soziale Mischung

■ 59, Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie im Studiengang Stadtplanung an der Hafencity Universität Hamburg. Aktuelle Schwerpunkte sind Suburbanisierung, Soziale Stadt, Unsicherheit in europäischen Städten, Mobilität und Strategien integrierter Stadtentwicklung. Foto: HCU

INTERVIEW LENA KAISER

taz: Frau Breckner, würden Sie gern in der Hafencity wohnen?

Ingrid Breckner: Ich hätte ganz am Anfang Probleme gehabt, da hinzuziehen. Weil es einfach noch ein unfertiger Stadtteil ist und ich fertigere Strukturen bevorzuge, weil ich gern im Quartier alles finden möchte, was ich brauche. Es war klar, die ersten, die einziehen, die sind tatsächlich Pioniere und müssen warten bis der Supermarkt kommt.

Gerade hat die Hafencity wieder eine Auszeichnung für Stadtentwicklung bekommen. Halten Sie das Projekt stadtplanerisch für gelungen?

Ob es gelungen ist, hängt immer von den Maßstäben ab, mit denen man bewertet. Zum einen ist es ja so, dass in Hamburg ganz wenig moderne Architektur realisiert ist. Deshalb wurde entschieden, wenn wir schon neu bauen, dann in zeitgemäßer Form. Dass Architekturkritiker ganz verschiedene Geschmäcker haben, ist immer so. Die einen finden das gut, die anderen finden, das ist zu viel Glas.

Und was finden Sie?

Bei einem Neubauprojekt ist es wichtig, dass man versucht, in energetischer und ökologischer Hinsicht vernünftig zu bauen. Und dass man versucht, möglichst differenziert und dicht zu bauen. Das ist an diesem Ort zwingend, weil die Grundstücke durch den notwendigen Hochwasserschutz so teuer sind. Man kann heute nicht mehr in die Fläche gehen, weil Menschen mit Infrastruktur versorgt werden müssen. Die Frage ist dann nämlich immer, wer bezahlt den öffentlichen Nahverkehr, die Wasserleitungen, das Kino und die gewünschte kulturelle oder soziale Infrastruktur. Für verdichtetes Bauen ist die Hafencity ein gutes Modell. An manchen Stellen ist die Dichte vielleicht zu hoch und noch zu wenig durchdacht. Das sind Lerneffekte, sich anzuschauen, wer welche Dichte aushält und nach Alternativen einer sozialverträglichen Dichte zu suchen.

Wer mag die schon?

Es gibt Menschen aus der Stadt, die mit Dichte anders umgehen als Leute aus Rissen oder dem Umland, die mit einer Perspektive von einem Einfamilienhaus dort hinziehen. Die haben Probleme mit der Dichte und solche Leute sind auch wieder ausgezogen. Die Hafencity ist eines der wenigen Projekte in der Bundesrepublik, bei dem versucht wird, mit der Qualität der Räume sorgfältig umzugehen und auf die Bewohner und ihre Kritik einzugehen. Um den Dialog mit den Nutzern zu führen, wurde extra eine Stelle eingerichtet. Das ist nicht selbstverständlich.

Sie betonen, dass die Hafencity für die öffentliche Hand weitgehend kostenneutral gebaut wurde. Darf Stadtplanung heute nichts mehr kosten?

Wenn man sich die Haushalte der Städte anguckt, können sie nur selbstbestimmt bauen, wenn sie rechtzeitig in den Besitz der Grundstücke kommen. Aus der Wertsteigerung, die sich durch die Planung ergibt, kann das, was sie selber für die Infrastruktur bezahlen müssen, gegenfinanziert werden. München verlangt von den Investoren für die Wertsteigerung, die durch Planung entsteht, im Rahmen der „Sozialverträglichen Bodennutzung“ eine entsprechende Abgabe, um Kindergärten, Schulen und ähnliche Dinge bauen zu können. Was bei der Hafencity natürlich ins Gewicht fällt, ist die Elbphilharmonie. Aber das ist kein Projekt für die Hafencity, das ist eine strukturelle kulturpolitische Entscheidung für die ganze Metropolregion.

Sie haben einen Text über die Hafencity in einem Buch über soziale Spaltung geschrieben. Ist die dafür ein gutes Beispiel?

Ja. So wie das Projekt bis jetzt realisiert worden ist, ist natürlich nichts für arme Leute entstanden. Es ist aber auch nicht so, dass da nur reiche Leute wohnen. Wenn man in einer Genossenschaft in der Hafencity wohnt und zehn Euro pro Quadratmeter in einem Neubau bezahlt, dann möchte ich die Neubauwohnung in Hamburg sehen, die günstiger ist. Von daher ist das durchaus auch eine Option für mittlere Einkommensgruppen. Durch den geförderten Wohnungsbau entstehen in den nächsten Bauabschnitten auch Sozialwohnungen.

Sie haben die Bewohnerschaft untersucht. Was kam raus?

Die Bewohnerstruktur ist differenziert. Es wohnen dort Senioren und mehr Familien mit kleinen Kindern als gedacht. Es wohnen Haushalte, die berufsbedingt mehrere Wohnsitze haben und mittlere Einkommensschichten, die ihre Einfamilienhäuser aufgegeben haben, weil die Kinder ausgezogen sind. Das nimmt auch Druck aus den Quartieren, die unter Gentrifizierung leiden, weil eine Offerte für die Leute geschaffen wird, die ein bisschen mehr Geld haben.

Die Hafencity steht für den Bedeutungsverlust des Hafens. Ist sie aus der Not geboren?

Stadt verändert sich immer. Wenn der Hafen sich durch den Containertransport verändert, und die großen Schiffe nicht mehr über den alten Elbtunnel fahren können, wird eine Fläche frei, weil sie in dieser Form nicht mehr benutzbar ist. Dadurch, dass die Innenstadt so viel Bevölkerung verloren hat und viele Leute darüber geklagt haben, dass man abends in der Innenstadt Sicherheitsprobleme hat, weil nach Ladenschluss kein Mensch mehr auf der Straße ist, ist es einfach sinnvoll, das Wohnen wieder dahin zu bringen.

Vor 130 Jahren wohnten über 170.000 Menschen in der Hamburger Alt- und Neustadt, 2009 nicht einmal mehr 14.000.

Das zeigt, dass die Innenstadt zunehmend zu einer Kommerzfläche geworden ist – zum Kaufhaus der ganzen Region. Diese monofunktionale Gestaltung von Innenstädten macht Probleme und deswegen hat man sich entschieden, das Rad zurückzudrehen, indem man wieder eine gemischte Nutzung in der Innenstadt etabliert. Dafür ist die Hafencity ein ganz gutes Beispiel.

Gerd Pohl, Klaus Wicher: „Hamburg: Gespaltene Stadt? – Soziale Entwicklungen in der Metropole“, VSA 2013, 204 Seiten, 16,80 Euro.

Ingrid Breckner, Toralf Gonzalez, Marcus Menzl, Sybille Vogelsang: „Wohnen in der HafenCity – Zuzug, Alltag, Nachbarschaft“, Junius 2012, 120 Seiten, 24,90 Euro