Große Koalition in Wien geplatzt: Die ÖVP lässt's krachen

Die Regierung aus Sozialdemokraten und ÖVP zerbricht an der Europapolitik. Die ÖVP will Neuwahlen schon im Herbst - Kanzler Gusenbauer tritt nicht mehr für die SPÖ an.

Schön war's nie. Jetzt ist es vorbei: Österreichs Kanzler Gusenbauer und Vizekanzler Molterer Bild: reuters

Das Endzeitszenario hätte nicht besser arrangiert werden können. Auf der Wiener Stadtautobahn protestierten Montagvormittag die Spediteure gegen hohe Steuern, Mauten und Dieselpreise. In ganz Österreich hielten die Ärzte ihre Praxen geschlossen, um eine Minigesundheitsreform zu verhindern. Da trat Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer vor die kurzfristig einberufene Presse und verkündete: "Es reicht!" Er werde seinem Parteivorstand am Dienstag sofortige Neuwahlen vorschlagen. Anlass war aber nicht die Protest- und Streikwelle der verschiedenen Lobbys. Schuld sei, so Molterer, die SPÖ und deren innere Befindlichkeit: "Ich kann nicht zulassen, dass die Krise der SPÖ eine Krise für Österreich wird."

Schon seit Wochen lief zwischen den Koalitionspartnern nichts mehr. Selbst in Sachthemen, bei denen man sich vorher annähernd einig gewesen war, wurden neue Hindernisse aufgebaut. Zuletzt ging es um die stark abgespeckt Gesundheitsreform. Da hatte man sich auf die stärkere Kontrolle der Krankenkassen geeinigt. Plötzlich war die ÖVP der Meinung, dass das nur für die SPÖ-nahen Kassen gelten sollte. Bauern- und Beamtenkasse, beide ÖVP-affin, sollten ausgenommen sein.

Die SPÖ, deren Bundesvorstand tagte, als Molterer seine Entscheidung kundtat, reagierte umgehend. Sie wird den Neuwahlantrag mittragen und nicht den amtierenden Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ins Rennen schicken, sondern Infrastrukturminister Werner Faymann. Der ist seit drei Wochen bereits Parteichef. Im regelmäßig von den Medien erhobenen Politikerranking liegt er im Spitzenfeld. Während Gusenbauer zuletzt Sympathiewerte von - 30 registrieren musste, liegt der ebenso umgängliche wie ideologiefreie Faymann bei + 25 bis + 30. Vizekanzler Molterer klagt seither, er wisse nicht, wer sein Ansprechpartner sei: der Kanzler oder der Parteichef. Besondere Empörung bei der ÖVP löste aber vor zehn Tagen der europapolitische Schwenk des Koalitionspartners aus. Man werde bei zukünftigen EU-Verträgen wie auch vor dem Beitritt der Türkei das Volk befragen. Verkündet wurde diese neue Linie nicht nach einem Parteivorstand, sondern in einem Brief der SPÖ-Doppelführung an den Herausgeber der Kronen Zeitung, jenes auflagenstarken Boulevardblattes, das seit Monaten aus allen Rohren gegen die EU und vor allem gegen den Vertrag von Lissabon schießt.

Da ist zwar nicht viel dahinter, denn der Lissabon-Vertrag wurde bereits im April vom Parlament ratifiziert und neue EU-Verträge stehen nicht an. Doch für die ÖVP, die seit Februar den Absprung aus der Koalition vorbereitet, bot die Volte der SPÖ den willkommenen Anlass für den Bruch. "Im Übrigen ist die strategische Ausgangsposition der ÖVP heute besser als im März", erklärte der Politologe Peter Filzmaier mit Hinweis auf die gestiegenen Umfragewerte.

Die Koalition trug seit ihrer Entstehung im Januar des Vorjahres den Keim der Selbstzerstörung in sich. Gusenbauer hatte dem kleineren Partner mit Außen-, Innen-, Finanz- und Wirtschaftsministerium die Schlüsselressorts überlassen. Und die ÖVP sah ihre Aufgabe in erster Linie darin, jede Reforminitiative der SPÖ zu blockieren: von der Bildungspolitik bis zum Nichtraucherschutz.

Molterer hat Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Gusenbauer vor seinem theatralischen Presseauftritt informiert. Fischer hatte letzte Woche noch an beide Parteichefs appelliert, zur konstruktiven Arbeit zurückzukehren.

Die ÖVP wird jetzt wohl den Neuwahlantrag des BZÖ, der kleinsten Partei, unterstützen, der Dienstag im Plenum des Nationalrats auf die Tagesordnung kommt. Auch Grüne und FPÖ zeigten sich in ersten Reaktionen erleichtert über das bevorstehende Ende der Koalition. Die ÖVP will möglichst bald wählen. Erster in Frage kommender Termin ist der 14. September.

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