Afhganische Parlamentarier gefährdet: Die Galerie der Märtyrer

Immer häufiger werden afghanische Parlamentarier ermordet. 2.000 bewaffnete Gruppen gibt es im Land. Eine Aufklärung der einzelnen Fälle ist unwahrscheinlich.

Ein Mann betet vor einer Moschee in Kabul. Bild: ap

BERLIN taz In der Lobby des Parlaments von Kabul schmückt eine Fotogalerie der 249 Abgeordneten eine lange Wand. Sie symbolisiert den Stolz der Afghanen, dass sie nach über 30-jähriger Pause wieder über eine frei gewählte Legislative verfügen. Auf den zweiten Blick fallen Lücken auf.

Denn am Sonnabend musste die Parlamentsverwaltung bereits das zehnte Bild in die gesonderte Reihe der "Schahidan", der Märtyrer, umhängen. Habibullah Jan Sanzenai, Repräsentant des südafghanischen Kandahar, war am selben Tag vor seinem Haus im Distrikt Zherai, einer Taliban-Hochburg, erschossen worden. Nach der Besichtigung eines Stützpunkts der afghanischen Armee am Vortag hatte er seit langem wieder einmal in seinem Heimatdorf übernachten wollen.

Die Taliban, die regelmäßig die Verantwortung für ähnliche Attentate übernehmen, selbst wenn sie nicht dahinterstecken, wiesen eine Tatbeteiligung zurück. Habibullah, ein früherer Mudschaheddin-Kommandeur vom Paschtunenstamm der Alizai, war Führungsmitglied der oppositionellen Nationalen Front (NF). Das dürfte Gerüchten Auftrieb geben, dass Regierungskreise hinter dem Mord stecken könnten. Noch hält sich die NF mit Anschuldigungen zurück. Das war anders, als letzten November ein Selbstmordattentäter in der Stadt Baghlan über 70 Menschen mit in den Tod riss, darunter fünf Mitglieder einer Parlamentsdelegation. Einer von ihnen war NF-Sprecher Mustafa Kazemi, einer der charismatischen Politiker des Landes. Bis heute ist ungeklärt, wer hinter dem Anschlag stand.

Drei weitere Abgeordnete wurden Opfer bewaffneter Fraktionsstreitigkeiten. Trotz offiziell erfolgreich abgeschlossener Entwaffnungsprogramme existieren im Land noch 1.200 bis 2000 illegale bewaffnete Gruppen. Eine ganze Reihe dieser Gruppen werden von Provinzgouverneuren und Polizeichefs angeführt. Sie benutzen solche Milizen, um sich zu bereichern. Vor zwei Jahren waren das noch etwa 500; 44 von ihnen sollen inzwischen freiwillig ihre Waffen abgegeben haben.

Zuletzt hatte es Ende April Hadschi Muhammad Zamkanai getroffen. Der Abgeordnete stand bei einer Feiertagsparade auf der VIP-Tribüne, nur ein paar Meter entfernt von Präsident Hamed Karsai. Dann eröffnete ein Mordkommando das Feuer auf die Gäste. Nur ein ungünstiges Schusswinkel, so hieß es in Kabul, rettete Karsai damals das Leben. Diesmal gab es Bekenneranrufe gleich von zwei Gruppen, darunter den Taliban.

Auch die Untersuchung im Fall Habibullahs könnte im Sande verlaufen und damit zum weiteren Vertrauensverlust in der Bevölkerung führen. Schon der Anschlag auf die Kabuler Parade sowie die jüngste Massenbefreiung von Taliban aus dem Zentralgefängnis in Kandahar hatten für erheblichen Unmut und Verunsicherung gesorgt.

Angesichts der Aufstandsbewegung, des wenig rechtsstaatlichen Vorgehens der Polizei und der von ihr angeworbenen Exmilizionäre ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der in diesem Konfliktgemisch getöteten Zivilisten zunimmt. Aber nicht jeder den Taliban angelastete Mord geht wirklich auf ihr Konto. Örtliche Milizen und kriminelle Gangs haben gelernt, sich der Insignien der Koranschülertruppe zu bedienen, von Bekennerschreiben, die mit Koranzitaten gespickt sind, bis hin zum Outfit: schwarze Turbane, Rauschebärte und knöchelfreie Pluderhosen. Das verbreitet mehr Schrecken, als wenn man sich als ganz gewöhnlicher Strauchdieb präsentiert. Allerdings nehmen die echten Taliban tatsächlich wenig Rücksicht auf Zivilisten. Bei ihren Selbstmordattentaten und Sprengfallen sterben fast zehnmal so viele Zivilisten wie Militärs.

Der Rückgang auf westlicher Seite mag damit zusammenhängen, dass sowohl die Isaf- als auch die US-Truppen vor einigen Monaten unveröffentlichte Befehle erhalten haben sollen, die Taliban lieber entkommen zu lassen, als Unbeteiligte zu schädigen. Dennoch: Am Sonnabend teilte der Gouverneur der Ostprovinz Nuristan mit, US-Helikopter hätten 22 Zivilisten getötet, darunter ein Kind und eine Frau. Das US-Militär dementierte.

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