Die kommende Frau Norwegens

Lust ist wohl das falsche Wort“, sagte Siv Jensen jüngst in einem Interview. „Lust hat man vielleicht, auszugehen und ein Glas Wein zu trinken. Ich habe deshalb auch nicht Lust, Ministerpräsidentin zu werden. Aber ich bin bereit, die Aufgabe zu übernehmen.“ Dass ausgerechnet die Parteichefin der rechtspopulistischen Fortschrittspartei sich selbst mit dem Posten der Regierungschefin in Verbindung bringt, hätte in Norwegen noch vor zwei Jahren lautes Gelächter ausgelöst und wäre als Höhepunkt jeglichen politischen Realitätsverlusts verulkt worden. Doch ein gutes Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen gilt dieses Szenario als so nahe liegend, dass Medien schon über die personellen Alternativen auf der MinisterInnenliste eines Regierungskabinetts Jensen spekulieren.

Die 39-jährige alleinstehende und kinderlose Diplombetriebswirtin sei ein „politisches Genie“, urteilt der Osloer Staatswissenschaftler Erling Dokk Holm. Wie keine andere Politikerin und kein anderer Politiker schaffe sie es, „moralischer Entrüstung einen politischen Ausdruck zu geben“. Als Jensen vor zwei Jahren den Parteivorsitz der Fortschrittspartei von deren „ewigem“, nämlich seit 28 Jahren herrschenden Parteichef Carl I. Hagen übernahm, galt diese Rechtsaußenpartei für die anderen Parlamentsparteien als nicht koalitionsfähig. Zu sehr musste man unter Hagen immer wieder mit rassistischen und anderen unappetitlichen Ausfällen rechnen.

Siv Jensen änderte nicht viel am politischen Inhalt, aber am äußeren Erscheinungsbild der Fortschrittspartei. Sie bemühte sich gar nicht erst, zu allen wichtigen politischen Fragen Alternativen zu präsentieren, sondern positionierte die Partei grundsätzlich als Befürworterin eines allgemeinen Gleichheitsideals und Kämpferin gegen jegliche Autorität. Das brachte die Partei in den Umfragen auf Spitzenwerte von 37 Prozent. Sie hält seit Monaten unangefochten die Position als stärkste Partei des Landes. Jens Stoltenberg, derzeitiger Chef einer rot-rot-grünen Koalition, bezeichnet sie schon jetzt als seine eigentliche kommende Wahlkampfgegnerin.

„Ich trat als 18-Jährige in die Fortschrittspartei ein und habe diesen Schritt nie bereut“, beschreibt Jensen ihren politischen Werdegang: „Und vor meiner ersten öffentlichen Fernsehdebatte war ich so nervös, dass die Fernsehleute mich aus der Toilette im TV-Haus herauszerren mussten.“ Das ist keine zehn Jahre her. Nun stellen viele JournalistInnen Jensen bereits mit der norwegischen „Landesmutter“ Gro Harlem Brundtland auf eine Stufe. Beide haben jedenfalls gemein, dass sie es nicht ganz leicht haben, ihr Temperament zu zügeln. REINHARD WOLFF