Kumpanei mit Mördern

Wie Frankreichs Militär beim Völkermord an Ruandas Tutsi mithalf: Ein Untersuchungsbericht in Ruanda enthüllt Einzelheiten

Die einstige belgische Kolonie Ruanda erklärte sich 1959 unabhängig, als Hutu-Aufständische die alte Tutsi-Monarchie stürzten. Ein Großteil von Ruandas Tutsi wurde vertrieben. 1990 begannen Exil-Tutsi in der RPF (Ruandische Patriotische Front) von Uganda aus einen Bürgerkrieg in Ruanda. 1993 vereinbarte Ruandas damaliger Hutu-Präsident Juvenal Habyarimana eine Machtteilung mit der RPF. Am 6. April 1994 wurde Habyarimana ermordet. Hutu-Milizen und die Armee begannen mit der planmäßigen Tötung aller Tutsi. Drei Monate und 800.000 Tote später floh das Völkermordregime vor der vorrückenden RPF ins benachbarte Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), geschützt von Frankreichs Militär. Ruanda wird seitdem von der RPF regiert und hat mehrmals im Kongo gegen die dort bis heute aktiven Nachfolger der Völkermordarmee operiert. D.J.

VON DOMINIC JOHNSON

Französische Soldaten haben sich am Völkermord in Ruanda beteiligt, bei dem von April bis Juli 1994 über 800.000 Menschen getötet wurden. Dies steht in einem Bericht über „die Verwicklung des französischen Staates in den Völkermord in Ruanda 1994“, den eine unabhängige Untersuchungskommission am Dienstag in Ruandas Hauptstadt Kigali präsentiert hat und der der taz vorliegt. Der Bericht biete „eine gute Grundlage für mögliche juristische Schritte“, meinte Justizminister Tharcisse Karugarama gestern. 33 französische Politiker und Militärs werden in einem unveröffentlichten Anhang als Verantwortliche genannt.

Die Verwicklung Frankreichs ist noch nie so deutlich dargestellt worden wie in diesem Bericht, der unter Leitung des ehemaligen ruandischen Generalstaatsanwalts Jean de Dieu Mucyo entstanden ist. Frankreichs unrühmliche Rolle beginnt im Oktober 1990, als eine Guerillabewegung ruandischer Exil-Tutsi in Uganda, die RPF (Ruandische Patriotische Front), einen Krieg gegen Ruandas damalige Hutu-Regierung unter Präsident Juvénal Habyarimana aufnimmt. Ruandas Regierung verfolgt alle Tutsi als „inneren Feind“, Frankreich schickt Eingreiftruppen und Militärberater. An Straßensperren stehen ruandische und französische Soldaten gemeinsam, nehmen Tutsi fest und misshandeln sie, manche verschwinden in Militärhaft. Französische Soldaten foltern sogar gefangene Rebellen.

Am Abend des 6. April 1994 kommt Präsident Habyarimana beim Abschuss seines Flugzeugs über Kigali ums Leben. Führende Hutu-Extremisten, die eine bereits mit der RPF vereinbarte Machtteilung ablehnen, ergreifen die Macht. Versammelt in der französischen Botschaft in Kigali, bilden sie eine „Übergangsregierung“, während Armee, Präsidialgarde und Hutu-Milizen landesweit damit beginnen, Tutsi zu jagen und zu töten. Französische Waffenlieferungen an die Täter gehen weiter.

Ende Juni 1994 schließlich, als das Völkermordregime im Kampf gegen die RPF vor der militärischen Niederlage steht, besetzen französische Truppen den Westen Ruandas. Offiziell ist es eine „humanitäre Intervention“, um dem Morden ein Ende zu bereiten. Tatsächlich aber arbeiten die Soldaten der Eingreiftruppe „Turquoise“ mit den Hutu-Mordmilizen zusammen. Sie beraten und bewaffnen sie, sie liefern ihnen gefangene Tutsi aus, sie vergewaltigen Tutsi-Mädchen.

In einzelnen Fällen sollen französische Soldaten selbst Tutsi getötet haben. Am Kivu-See, der die Grenze zum Kongo bildet, erklärten sie den Milizen, wie man Leichen so ins Wasser wirft, dass sie nicht an der Oberfläche treiben. In der Südprovinz Gikongoro verhafteten französische Soldaten überlebende Tutsi und warfen sie gefesselt aus Hubschraubern im Tiefflug ab.

Während die Unterstützung Frankreichs für Ruandas Regierung vor dem Völkermord bereits bekannt war, sind die vielfältigen Zeugenaussagen über die „Operation Turquoise“ neu. Damit hat Ruanda nun zusätzliche Munition in seinem politisch-juristischen Dauerstreit mit Frankreich: Die Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden 2006 abgebrochen, und ein französischer Untersuchungsrichter will Ruandas Präsidenten und einstigen RPF-Führer Paul Kagame als angeblichen Drahtzieher der Ermordung von Expräsident Habyarimana am 6. April 1994, die als Startschuss für den Völkermord gilt, verklagen. In Frankreich läuft außerdem aufgrund einer Anzeige von Überlebenden des Völkermords ein Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Turquoise-Soldaten.

Der Bericht enthalte „inakzeptable Anschuldigungen“, erklärte Frankreichs Regierung gestern. „Es geht nicht um Rache“, beschwichtigt Ruandas Botschafter in Deutschland, Eugène Gasana. „Der Bericht soll uns und den Franzosen helfen, zu verstehen, was passiert ist und wie wir diese Lage überwinden können. Es geht um Einzelpersonen in Frankreich und in Ruanda, nicht um Frankreich allgemein.“

Sharon Courtoux von der französischen Gruppe Survie, die eigene Untersuchungen über Frankreichs Rolle in Ruanda angestellt hat, ist eher enttäuscht – vor allem, weil der Bericht anders als angekündigt nicht veröffentlicht worden ist. Franzosen stellten ihn gestern ins Internet, nachdem er aus Ruanda an Einzelpersonen verschickt worden war. „Die halten noch einiges zurück“, glaubt Courtoux: „Man müsste in Ruanda Leute finden, die uns sagen, welcher Franzose wann welche Dokumente in den Händen hielt.“

Die Mucyo-Kommission hatte ab April 2006 anderthalb Jahre lang gearbeitet. Zu ihren Mitgliedern gehört Ruandas prominentester Sozialwissenschaftler Jean-Paul Kimonyo. Sie vernahmen 698 Zeugen und besuchten Tatorte. Frankreich verbot seinen Staatsbürgern, vor der Kommission auszusagen. Ihren Bericht hatte die Kommission bereits am 15. November 2007 der Regierung übergeben, aber diese hatte ihn bis jetzt zurückgehalten.