Die Rebellen rücken näher an die Hauptstadt

In Sarobi, wo gestern die französischen Soldaten starben, erlebten bereits die Sowjets ein Debakel

In dem Bezirk gibt es Stauseen mit Wasserkraftwerken, welche Kabul mit Elektrizität versorgen

BERLIN taz ■ Die ausländischen Truppen in Afghanistan erleben zurzeit ein Déjà vu. Der verlustreiche Hinterhalt, in den am Dienstag französische Truppen im Bezirk Sarobi gerieten, erinnert an das sowjetische Debakel am Hindukusch. Sarobi im Osten der Provinz Kabul war einer der am heftigsten umkämpften Bezirke, in dessen Schluchten Moskaus Truppen immer wieder Verluste erlitten. Damals war der etwa 70 Kilometer von Kabul entfernte Bezirk eine Hochburg der Hisb-i-Islami des Islamistenführers und Warlords Gulbuddin Hekmatjar und ist es auch wieder heute.

Der Paschtune Hekmatjar ist mit den Taliban verbündet. Seine Kämpfer sind vermutlich für das gescheiterte Attentat auf Präsident Hamid Karsai vom 27. April verantwortlich. In Sarobi schossen sie wahrscheinlich zudem schon am 22. Januar einen US-Hubschrauber ab, ebenso wie einen anderen Helikopter am 2. Januar in der Provinz Laghman.

Sarobi eignet sich hervorragend für den Guerillakampf, weil der Distrikt strategisch günstig gelegen ist und mit seinen tiefen Schluchten hervorragende Möglichkeiten für Hinterhalte bietet. Durch den Bezirk am Kabul-Fluss führt die Straße nach Dschalalabad nahe der pakistanischen Grenze, die wichtigste Überlandverbindung im Osten Afghanistans und eine der Hauptversorgungsrouten nach Kabul. Zudem gibt es in dem Bezirk zwei Stauseen mit Wasserkraftwerken, welche die Hauptstadt mit Elektrizität versorgen. Wer sie kontrolliert, kann Kabul nach Belieben den Strom abstellen und damit die Bewohner zermürben. Ein weiterer Faktor ist, dass rund 90 Prozent der auf 150.000 geschätzten Einwohner des Bezirks Paschtunen sind, aus denen sich sowohl die Taliban wie die Hisb-i-Islami ihre Kämpfer überwiegend rekrutieren.

Die Taliban und ihre Verbündeten rücken nicht nur vom Osten näher an die Hauptstadt heran, sondern auch vom Süden und Westen. In Kabul selbst gab es zwar in diesem Jahr bisher weniger Selbstmordanschläge als 2007. Aber diese sind verwegener und häufiger gegen hochrangigere Ziele gerichtet, was zu einem wachsenden Unsicherheitsgefühl in der Hauptstadt beiträgt. Beunruhigen muss auch, dass in den letzten drei Monaten in Afghanistan insgesamt mehr ausländische Soldaten getötet wurden als im gleichen Zeitraum im Irak. 176 Soldaten starben in diesem Jahr bereits in Afghanistan.

In letzter Zeit sind auch wieder gezielt ausländische zivile Helfer ermordet worden. Vergangene Woche wurden drei nordamerikanische Mitarbeiterinnen einer US-Hilfsorganisation und ihre Fahrer in der südöstlich an Kabul grenzenden Provinz Logar von Taliban ermordet, die sich öffentlich zu der Tat bekannt haben. Zudem wurden sechs Minenräumer entführt. Die UN-Vertretung in Kabul hat auf internen Karten inzwischen die Hälfte des Landes für UN-Mitarbeiter als „hochriskant“ markiert. Eine Fahrt auf der wiederhergestellte Landstraße von Kabul nach Kandahar, einst eines der wenigen Erfolgsprojekte des Wiederaufbaus nach dem Sturz der Taliban 2001, gleicht heute einem Himmelfahrtskommando. Die Straße ist von Bombenkratern übersät. Und in der westlich an Kabul grenzenden Provinz Wardak haben laut BBC allein im letzten Monat Taliban 51 Lkw zerstört. SVEN HANSEN