Kurator der Homo-Kunstausstellung: "Es könnte gefährlich werden"

Eine große Homo-Ausstellung in Warschau. Dreht das konservative Polen jetzt durch? Der Kurator über die Scham des katholischen Polens heute.

"Ich will den homoerotischen Klassizismus populär machen": Der Kurator der Ausstellung will nicht provozieren. Bild: dpa

taz: Herr Leszkowicz, kann man homoerotische Kunst in Polen ausstellen, ohne dass es zum Skandal kommt? Oder planen Sie bewusst eine Provokation?

Pawel Leszkowicz: Nein. In Polen hat sich viel geändert seit 2000. Als sich damals 30 schwule und lesbische Paare Händchen haltend fotografieren ließen, darunter auch mein Partner und ich, schwappte eine Welle des Hasses über uns hinweg. Wir hatten damals Angst. Die Gleichheitsparaden wurden mit Steinen beworfen. In Krakau wurden die Teilnehmer sogar mit Säure übergossen. Doch jetzt - zehn Jahre später - ist die Situation eine andere. Ich will mit der Ausstellung nicht provozieren. Ich glaube auch nicht, dass die heutige Gesellschaft Polens sie als Provokation auffassen wird.

Liegt das auch am Ort? Das Nationalmuseum Polens ist ehrwürdig, aber auch ein bisschen muffig, oder?

Ehrwürdig soll das Museum auch bleiben. Aber der Muff soll raus. Es geht um eine neue Sichtweise. Neben moderner Schwulen- und Lesben-Kunst will ich vor allem homoerotische Kunst der Antike zeigen. Dafür ist das Nationalmuseum die ideale Institution. Hier kann man die homoerotische Tradition der Antike und ihre Normalität im damaligen Alltag zeigen. Zudem ist die Konfrontation mit dem Heute möglich, der Debatte um die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben im öffentlichen Leben.

Warum ist der Titel der Ausstellung lateinisch?

Ich hatte ein großes Problem mit dem Titel. Ich wollte kein Wort aus der Schwulensprache benutzen. Auch das Wort "Homosexualismus" wollte ich vermeiden. All diese Worte sind mit Assoziationen verbunden, die ich vermeiden wollte. 1994 hatte es hier im Warschauer Nationalmuseum die Ausstellung Ars Erotica gegeben. Sie zeigte erotische Kunst im Sozrealismus, die in der Volksrepublik Polen natürlich der Zensur unterlag. Was war damals möglich? Ich knüpfe mit meiner Ausstellung bewusst an die Tradition dieses Hauses an: 1994 Ars Erotica und 2010 Ars Homo Erotica.

Was zeigen Sie aus der Antike?

Ich will den homoerotischen Klassizismus populär machen. Der Gipfel der homoerotischen Kunst in der Antike stellt die Statuengruppe der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton dar. Sie stand einst auf der Agora von Athen. Ich zeige eine Kopie dieser Statuengruppe aus dem fünften Jahrhundert vor unserer Ära. Harmodios und Aristogeiton gelten als Vorkämpfer der attischen Demokratie. Sie waren aber auch ein Liebespaar. Außerdem zeige ich einige Büsten von Antinoos, dem Geliebten von Kaiser Hadrian im zweiten Jahrhundert unserer Ära.

Gibt es solche Kunstwerke auch aus dem Mittelalter?

Die homoerotischen Skulpuren verschwinden, als die Kaiser im dritten und vierten Jahrhundert unserer Ära das Christentum annehmen. Im Jahr 392 wird das Christentum Staatsreligion im Römischen Reich. Ab diesem Zeitpunkt werden die Lenden nur mehr verhüllt gezeigt.

War schon das frühe Christentum so puritanisch?

In der Antike, zur Zeit des homoerotischen Klassizismus, wurde ein Männerakt in Gänze gezeigt. Die Genitalien des Mannes wurden als etwas Schönes angesehen und ohne das Gefühl der Scham betrachtet. So wie der Kopf, die Brust, Arme oder Beine. Der Fruchtbarkeitskult war mit den Genitalien verbunden, aber auch der Kult des schönen Körpers. Dies zeigen auch die nackten Sportszenen auf griechischen Vasen. Mit dem Christentum ändert sich das dramatisch. Die männlichen Genitalien gelten nun als unschön und unsauber. Männer beginnen sich ihrer eigenen Körperlichkeit zu schämen. Es beginnt die Kriminalisierung der Homosexualität.

Ist homoerotische Kunst möglich, wenn Homosexualität selbst als Verbrechen gilt?

Hier ist der Vergleich zwischen West und Ost ganz interessant. In der Sowjetunion galt Homosexualismus als Verbrechen, aber im kommunistischen Polen nicht. Polen war eines der ersten Länder, das den Homosexualismus entkriminalisierte. Schon 1932! Viel früher also als in Deutschland, wo dies erst in den späten 60er und 70er Jahren geschah. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Homosexualismus in der Volksrepublik Polen ein tiefes Tabu darstellte. Hier trafen die kommunistische Prüderie und die christliche Tradition zusammen und verstärkten sich. Schwule und Lesben galten in Polen über Jahrzehnte als gesellschaftlicher Abschaum. Man schämte sich, so zu sein, wie man ist. Mit dieser Scham kämpfen wir in diesem Teil Europas bis heute. Die Ausstellung ist auch ein Versuch, diese Scham zu überwinden.

Heute eröffnet die Ausstellung. Welche Reaktionen erwarten Sie?

Vor allem schlechte. Zum einen wird man mir vorwerfen, dass ich schlechte Kunst zeige. Denn ich zeige Werke, die normalerweise nicht an den Wänden des Nationalmuseums hängen, sondern unbeachtet in den Kellern liegen. Bislang sucht man homoerotische Kunst vergeblich an den Wänden polnischer Museen. Dann befürchte ich, dass sogenannte polnische Patrioten den Direktor angreifen könnten, weil das Nationalmuseum durch die Ars-Homo-Erotica-Ausstellung besudelt werde. Zum Dritten könnten aber auch Anhänger des Projekts enttäuscht sein. Sie erwarten vielleicht großartige Sexszenen, die es in der Ausstellung aber kaum zu sehen gibt. Das könnte mir als Kurator der Ausstellung Kritik eintragen.

Befürchten Sie auch tätliche Angriffe auf Kunstwerke der Ausstellung?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Polen hat sich sehr verändert in den letzten zehn Jahren. Es wird vereinzelte Proteste geben, vielleicht auch Demonstrationen, aber eine Ausstellung im Nationalmuseum ist weniger angreifbar als die in einer Galerie. Eher fürchte ich rechte Journalisten, die für Mainstream-Zeitungen wie Rzeczpospolita, Wprost oder Newsweek arbeiten. Sie könnten Zensur fordern oder gar die Schließung der Ausstellung. Sollten Politiker sich diesem Protest anschließen, könnte es für die Ausstellung gefährlich werden.

Gibt es besonders kontroverse Objekte?

Gegen die antiken Männerakte wird es keine Proteste geben. Aber schon in der Eingangshalle steht ein Element der Installation Entropa des tschechischen Künstlers David Cerny. Er hatte vor einem EU-Gebäude in Brüssel alle EU-Staaten gezeigt, wie sie in Stereotypen von den anderen wahrgenommen werden. Polen kam als eine Priestergruppe mit einer wehenden Regenbogenflagge daher. Wir zeigen das Kunstwerk zum ersten Mal in Polen. Problematisch könnte auch der Saal werden, in dem wir am Beispiel des heiligen Sebastian den Eingang der homoerotischen Kunst in die katholische Ikonografie zeigen.

Ein Europaabgeordenter der national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" hat ja bereits lautstark protestiert. Hatte das Konsequenzen?

Ich habe zahlreiche Hassbriefe bekommen, da die Medien, darunter auch das katholische Radio Maryja, die Adresse meines Arbeitgebers angaben. Dorthin wurden die Briefe geschickt. Meist wurde die homoerotische Kunst als Dreck und Scheiße bezeichnet, ich selbst wurde in einem Brief als Landesbevollmächtigter der Päderasten tituliert. Das war sehr unangenehm und belastend für mich.

Was haben Sie mit den Briefen gemacht? Sind Sie zur Polizei gegangen?

Nein, ich habe alle weggeworfen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Diese Briefe belasten mich, üben eine negative Energie aus. Also - ab in die Mülltonne damit! Das ist sehr befreiend. Der Direktor des Nationalmuseums hat sicher noch mehr Briefe dieser Art bekommen. Aber wir sprechen nicht darüber.

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