„Wir haben nur unsere Macheten“

Honduranische Landarbeiter halten seit Monaten mehrere Palmölplantagen besetzt. Ihnen war vom gestürzten Präsidenten Zelaya 4.000 Hektar Land versprochen worden. Unter dem neuen Präsidenten, dem Putschisten und Großgrundbesitzer Porfirio Lobo, ist davon keine Rede mehr

28. Juni 2009: Eine Spezialeinheit der Armee überfällt die Präsidentenresidenz in Tegucigalpa, verhaftet Präsident Manuel Zelaya und fliegt ihn nach Costa Rica aus. Am selben Tag ernennt das Parlament den Fuhrunternehmer Roberto Micheletti zum Nachfolger. Die Putschisten verhängen eine Ausnahmesperre und unterbinden Demonstrationen mit Gewalt.

21. September 2009: Nach mehreren vom Militär verhinderten öffentlichen Versuchen der Rückkehr reist Zelaya heimlich nach Honduras ein und taucht unvermittelt in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa auf. Die Botschaft wird von der Armee abgeriegelt.

29. November 2009: In einer vom Militär organisierten Wahlfarce wird der Großgrundbesitzer Porfirio Lobo zum Präsidenten bestimmt.

27. Januar 2010: Lobo tritt sein Amt an. Zelaya bekommt freies Geleit von der brasilianischen Botschaft zum Flughafen und geht in die Dominikanische Republik.

Seither: Die nach dem Putsch sprunghaft zugenommenen Menschenrechtsverletzungen halten an. Unter anderem werden neun Journalisten ermordet. Keiner dieser Fälle ist aufgeklärt.

AUS TOCOA TONI KEPPELER

Wer durch das breite Tal des Flusses Aguán im Norden von Honduras fährt, der sieht nur Palmen und Soldaten. Und irgendwie passt das zusammen. Die Palmen stehen in akkuraten Reihen, in sieben Metern Abstand zur jeweils nächsten, Kilometer auf Kilometer. Plantagen, auf denen Palmöl produziert wird; für Margarine und Speiseöl, Lebensmittelzusätze und Agrosprit. Palmöl ist rentabler, als es Bananen sind, und deshalb stehen längst viel mehr Ölpalmen im Norden von Honduras als Bananenstauden. Der größte Produzent von allen kommt nicht wie die legendären Fruchtkonzerne aus den USA. Es ist ein Einheimischer: Miguel Facussé, Herr über 20.000 Hektar Palmpflanzungen und einer der finanziell potentesten Unterstützer des Militärputschs gegen Präsident Zelaya vom 28. Juni des vergangenen Jahres.

An der Straße durchs Aguán-Tal haben Soldaten alle paar Kilometer einen Kontrollpunkt errichtet und filzen so gut wie jedes Auto und jeden Motorradfahrer. Angeblich sollen sie den Drogenhandel bekämpfen. Aber es gibt deutlich abgelegenere und für die Kuriere sicherere Gegende als die Strände rund um die Mündung des Río Aguán. Tatsächlich sollen die Soldaten das Eigentum von Facussé schützen, egal ob er es rechtmäßig erworben hat oder nicht.

Das Städtchen Tocoa ist das Zentrum im unteren Aguán-Tal. Ein paar Kilometer weiter südlich, nach zwei Straßensperren, hängt am Eingang einer Plantage ein Transparent: Die Finca ist besetzt. Ein verschwitzter Landarbeiter steht am Tor und behält die Straße im Auge. Gegenüber ist der Eingang zur Nachbarfinca. Dort steht ein halbes Dutzend Männer des Wachdienstes von Facussé. Dunkelblaue Uniformen, dunkle Sonnenbrillen, Pumpguns. Der Wächter auf der anderen Straßenseite hat gerade mal eine Machete.

Seit dem 11. Februar sind südlich von Tocoa sechs Fincas besetzt. Zwischen den Palmen campieren 3.500 Männer, Frauen und Kinder in Zelten und unter Plastikplanen. Viele der Männer haben zuvor für Facussé gearbeitet. Die „Bewegung der vereinigten Landarbeiter des Aguán“ (Muca) hat sich zurückgeholt, was ihr ohnehin gehören müsste. Denn das fruchtbare Land im Tal ist Reformland. Seit den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gilt in Honduras ein Agrargesetz, nach dem landwirtschaftlich nutzbares Staatsland und brachliegende private Flächen an landlose Bauernkooperativen verteilt werden. Die müssen das Land bewirtschaften und dürfen es nicht weiterverkaufen. Nur 1992 wurde dieses Verkaufsverbot vom damaligen Präsidenten Rafael Callejas im „Gesetz für die Modernisierung der Landwirtschaft“ für rund zwei Jahre aufgehoben. Facussé hat diese Zeit genutzt. Er hat Kooperativen von Pistoleros vertreiben lassen, und er hat einzelne Mitglieder von anderen Kooperativen mit ein bisschen Geld über den Tisch gezogen und sie Kaufverträge unterschreiben lassen. Er wurde zum größten Grundbesitzer im Aguán-Tal. Rechtmäßige Landtitel hat er in aller Regel nicht. Aber er hat Macht.

Als Präsident Manuel Zelaya sich mehr und mehr sozialrevolutionärer Rhetorik bediente und auch ein paar Taten wie die Erhöhung des Mindestlohns folgen ließ, schöpften die landlosen Bauern Mut. „Im Juni des vorigen Jahres haben wir sechs Tage lang die Palmölfabrik von Facussé besetzt“, erzählt Juan Chinchilla. Zelaya schickte keine Soldaten, sondern eine Verhandlungskommission, und schon am 12. Juni waren sich Muca und Regierung einig: Die Landarbeiter organisieren sich in Kooperativen und bekommen insgesamt 4.000 Hektar Land und 100 Häuser. „Aber da war der Putsch schon geplant.“ Chinchilla zuckt mit den Schultern.

Am frühen Morgen des 28. Juni 2009 überfiel eine Spezialeinheit der Armee die Residenz des Präsidenten in Tegucigalpa, holte Zelaya mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett und flog ihn im Schlafanzug nach Costa Rica aus. Seither regieren Oligarchie und Militärs. Das Abkommen zwischen Muca und Zelaya war nichts mehr wert. Interventionen und Eingaben nutzten nichts, und so wurden am 9. Dezember sechs Fincas besetzt. Das war eine gute Woche nach der von den Militärs organisierten Wahlfarce vom 29. November, bei der der Großgrundbesitzer Porfirio Lobo zum nächsten Präsidenten bestimmt worden war.

Der Zeitpunkt war günstig. Lobo, von kaum einer anderen Regierung als rechtmäßig gewählter Präsident anerkannt, musste um seine internationale Reputation kämpfen. Am 27. Januar übernahm er von den Putschisten sein Amt. In Tegucigalpa zeigte er an diesem Tag ein freundliches Gesicht: Den heimlich zurückgekehrten gestürzten Präsidenten Zelaya, der sich monatelang in der brasilianischen Botschaft verschanzt hatte, begleitete er zum Flughafen und entließ ihn in die Dominikanische Republik ins Exil. Ins Aguán-Tal aber schickte er Polizisten und Soldaten. „Sie kamen zusammen mit den Wachmännern von Facussé“, erzählt Chinchilla. „Helikopter flogen tief über den Fincas. Wir versteckten uns zwischen den Palmen.“ Einen Räumungsbefehl gab es nicht. Trotzdem eröffneten Polizei und Militär das Feuer. Am Abend gab es zwei Schussverletzte, aber noch keine Toten.

In der Folge jedoch sind sieben Männer des Muca seither erschossen worden. „Meistens aus dem Hinterhalt“, sagt Chinchilla. Der achte Tote war Reporter bei einer lokalen Radiostation. Er hatte mit Sympathie über die Besetzungen berichtet. Den vorerst letzten Toten gab es am 20. Juni, einem Sonntag. Morgens um halb neun fuhren zwei Pick-ups vor, besetzt mit Polizisten und Wachleuten von Facussé. Die Männer drangen in eine besetzte Finca ein, erschossen den 17-jährigen Oscar Yovani Ramírez und verhafteten fünf weitere Personen, angeblich wegen illegalen Waffenbesitzes und Gründung einer kriminellen Vereinigung. Nach Angaben eines Muca-Anwalts wurden die fünf auf der Polizeistation verprügelt. In keinem der Mordfälle hat die Staatsanwaltschaft ermittelt. „Sie sagen, wir seien Terroristen“, sagt Chinchilla. „Aber wir haben nur unsere Macheten.“

Verhandeln unter Zwang

Das Risiko wird auf Kooperativen abgewälzt, aber der Gewinn bleibt beim großen Kapital

Am 11. Februar wurden die Fincas zum zweiten Mal besetzt. „Lobo musste verhandeln, er steht unter internationalem Druck“, sagt Chinchilla. „Aber wir haben direkt vor der Mündung eines M-60-Maschinengewehrs verhandelt.“ Zunächst wollte die Regierung die Besetzer vertraglich dazu verpflichten, dass sie zwar das Land zur Bewirtschaftung bekommen, die Früchte dann aber zur Weiterverarbeitung an eine der großen Palmölfabrik verkaufen.

Solche Fabriken gehören meist Miguel Facussé oder seinem fast ebenso potenten Konkurrenten René Morales. Schon die Bananengesellschaften haben diesen Trick angewendet: Das Risiko der Produktion wird auf abhängige Kooperativen abgewälzt, aber die gesamte weitere Wertschöpfungskette mit so gut wie garantiertem Gewinn bleibt beim großen Kapital. „Wir wollten diesen Vertrag nicht unterschreiben“, sagt Chinchilla. „Wir wollen langfristig selbst eine Fabrik.“

Inzwischen gibt es ein Abkommen mit dem staatlichen Landwirtschaftsinstitut. Die Besetzer sollen die 4.000 Hektar bekommen und auch die hundert Häuser. Sie sind wieder so weit wie kurz vor dem Putsch. Ganze Scharen von Männern, Frauen und Kindern ziehen durch die Plantagen. Ein paar wenige haben Sicheln an sechs bis acht Meter langen Stangen dabei, mit denen die bis zu zwanzig Kilo schweren Fruchtstände von der Krone der Palme geschnitten werden. Männer mit Eisenspießen heben sie vom Boden auf und werfen sie auf einen kleinen gemieteten Laster. Frauen und Kinder klauben die einzelnen herausgefallenen Früchte in große Plastiksäcke. Die Stimmung wirkt eher wie bei einem Volkswandertag. Der Personalaufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. „Vorläufig verkaufen wir die Ernte an eine kleine Fabrik“, sagt Chinchilla. „Was wir dafür bekommen, reicht gerade für das Essen unserer Leute.“

Eine Gruppe von Männern schreitet das Gelände mit Notizbüchern ab. Jede Palme wird registriert, nach geschätztem Alter und möglichen Krankheiten. Abgestorbene Palmen bekommen ein Kreuz. Am Abend wird zusammengezählt und der Wert überschlagen. Das ist wichtig fürs Grundbuch – wenn es denn je zu einem Eintrag kommt. Die Besetzer trauen dem Abkommen noch nicht, sie hatten ja schon einmal eines. Keiner verlässt allein das Camp, immer nur in der Gruppe. Der Wächter draußen an der Straße registriert jede verdächtige Bewegung. Spätestens alle halbe Stunde kommt ein Pick-up mit Soldaten oder Polizisten vorbei. Manchmal filmen sie das besetzte Gelände. Drüben am Eingang der Finca von Facussé stehen die Wachmänner mit ihren Pumpguns und plaudern. Immer wieder wirft einer einen Blick herüber.