Die Zusage, nicht zu foltern, kann glaubwürdig sein

JUSTIZ Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat einen Kriterienkatalog erarbeitet, auf dessen Grundlage die diplomatischen Zusagen von Folterstaaten bewertet werden sollen

FREIBURG taz | Kann ein Folterstaat glaubhaft zusichern, dass er in einem konkreten Fall nicht foltern wird? Das musste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden und kam zum Ergebnis: In Einzelfällen können solche Zusicherungen so glaubwürdig sein, dass ein mutmaßlicher Straftäter auf deren Grundlage in den Folterstaat ausgeliefert werden kann.

Der Charakter der diplomatischen Zusicherung müsse in jedem Einzelfall in alle Richtungen geprüft und abgewogen werden. Dabei seien, so die Straßburger Richter, mindestens folgende elf Kriterien zu beachten:

1. Wird die Zusage, nicht zu foltern, dem Gerichtshof offengelegt?

2. Ist die Zusage konkret oder vage?

3. Wer hat die Zusage gegeben, und kann er den Zielstaat rechtlich binden?

4. Halten sich örtliche Behörden an Zusicherungen des dortigen Zentralstaats?

5. Wie gut und eng ist das Verhältnis der beiden Staaten zueinander? Hat der Zielstaat seine Zusagen bisher eingehalten?

6. Wird nur versprochen, Maßnahmen zu unterlassen, die ohnehin verboten sind?

7. Hat der Zielstaat die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben?

8. Kann die Einhaltung der Zusicherung später überprüft werden?

9. Wurde der Betroffene im Zielstaat früher schon gefoltert?

10. Gibt es im Zielstaat ein effektives Schutzsystem gegen Folter? Arbeitet der Zielstaat mit entsprechenden Menschenrechtsorganisationen zusammen?

11. Wird die Zuverlässigkeit solcher Zusagen durch Gerichte im Zielstaat überprüft?

Die Vielzahl der Kriterien, zu denen im Einzelfall weitere hinzukommen können, macht die Bewertung der Zusage eines Folterstaats letztlich unberechenbar. Je mehr Aspekte miteinander abgewogen werden, desto eher können die Richter nach ihrem Bauchgefühl entscheiden.

CHRISTIAN RATH