„Die Polizei macht alles kaputt“

SOLIDARISCH Die Flüchtlinge im Berliner Camp arbeiten eng mit den Münchnern zusammen. Seit neun Monaten sind sie im Dauerprotest

BERLIN taz | Über den Zelten am Kreuzberger Oranienplatz liegt am Sonntagmittag fast idyllische Ruhe. Drei schwarzhäutige Männer sitzen auf den Lehnen einer Parkbank und unterhalten sich. Sonst ist niemand zu sehen von den rund 80 Flüchtlingen, die hier schon seit Oktober vorigen Jahres leben. „Es ist zu früh, die meisten schlafen sicher noch“, erklärt ein deutscher Unterstützer im Infozelt. Außerdem müssten sie zuerst mit ihren Leuten in München telefonieren, bevor sie etwas sagen können zu den Ereignissen dort.

Dass Berliner Aktivisten vor einigen Tagen zur Unterstützung in die bayerische Hauptstadt gefahren sind, überrascht nicht. Solidarität wird groß geschrieben unter den Flüchtlingen und ihren deutschen Unterstützern. Am Freitag demonstrierten rund 100 Menschen vor der Landesvertretung Bayerns.

Das Berliner Camp war von Beginn an ein überregionales Unterfangen. Gegründet nach einem Protestmarsch von Flüchtlingen aus ganz Deutschland in die Hauptstadt, wird es getragen von Menschen, zumeist Afrikanern, die in Asylbewerberheimen leben müssen, oft jahrelang, unter fragwürdigen Bedingungen und permanenter Angst vor Abschiebung. Wer sich dem Camp in Berlin angeschlossen hat, den haben Wut und Verzweiflung hergetrieben.

Handshake mit Politikern

Einer von ihnen ist Turgay, ein türkischer Journalist. Er ist seit Beginn bei den Protesten dabei und kennt auch die Münchner Hungerstreikenden. „Sie sind mit uns nach Berlin gelaufen vor fast einem Jahr“, erzählt er. Über die Räumung des Münchner Protestcamps ist er nicht überrascht: „Die Polizei macht immer alles kaputt, auch hier.“

Der 40-Jährige meint den Hungerstreik der Berliner im vorigen Herbst: Knapp 20 Flüchtlinge, vor allem Iraner, campierten und hungerten wochenlang vor dem Brandenburger Tor – in Sichtweite zum Bundestag. Politiker kamen zum Handshake, eine Abordnung der Flüchtlinge wurde im Innenausschuss empfangen. Mitte Dezember mussten sie dennoch unverrichteter Dinge aufgeben: Die Polizei hatte ihnen trotz Eiseskälte und einsetzendem Schneefall Zelte und Decken weggenommen. Darauf besetzten die Flüchtlinge eine leerstehende Schule.

Seit neun Monaten dauert der Protest nun an. Nicht jeder kommt damit klar. Einmal tickte ein Campbewohner aus und stach einem anderen in den Rücken. Vor kurzem griff ein junger Deutschtürke einen Campbewohner mit dem Messer an. Der Mann habe sich provoziert gefühlt, als er mit dem Kinderwagen vorbeikam, so später die Polizei. Die Flüchtlinge hingegen sprachen von einer anlasslosen, rassistischen Tat.

Danach klagten Anwohner über Probleme mit dem Zeltlager. Der grüne Bezirksbürgermeister berief einen runden Tisch ein. Ergebnis: Ein Sanitärcontainer wird umgesetzt. Und: Das Camp soll bleiben. Mindestens bis zur Bundestagswahl.

SUSANNE MEMARNIA