Im Eiltempo zum neuen Verfahren

JUSTIZ Das Oberlandesgericht entscheidet unglaublich schnell. Ein Grund reicht für Wiederaufnahme

BERLIN taz | Eine „unechte Urkunde“ hat nun den Ausschlag gegeben. Über die Psychiatrie-Einweisung von Gustl Mollath muss ganz neu verhandelt werden. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg gab jetzt dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens statt.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte Mollath 2006 vom Vorwurf der Körperverletzung und Sachbeschädigung freigesprochen, weil er „nicht ausschließbar“ schuldunfähig war. Zugleich wurde damals Mollaths Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet, da er für die Allgemeinheit gefährlich sei.

Anfang 2013 hatten sowohl Mollaths Anwälte Erika Lorenz-Löblein und Gerhard Strate als auch die Staatsanwaltschaft Regensburg Anträge auf Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens gestellt. Die Verteidiger stützten sich dabei auf rund zwei Dutzend Gründe. Unter anderem warfen sie den damaligen Richtern Rechtsbeugung vor, weil der Sachverhalt im Urteil bewusst falsch dargestellt worden sei. Dort hieß es, dass Mollath die Reifen seiner vermeintlichen Gegner regelmäßig auf besonders perfide Weise aufgeschlitzt habe, wofür es aber keine konkreten Belege gab; die Reifen waren meist schon vor der Abfahrt platt.

Außerdem führten die Verteidiger neue Tatsachen ins Verfahren ein. So hatte sich ein Zeuge gemeldet, dem die Ehefrau Mollaths damals gesagt haben soll: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig. […] Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch schon, wie.“

Dennoch hatte das Landgericht die Wiederaufnahmeanträge am 24. Juli abgelehnt. In dem 115-seitigen Beschluss wurde die vorgeworfene Rechtsbeugung lapidar als „Sorgfaltsmängel“ abgetan. Wer den Richtern Absicht unterstelle, spekuliere „ins Blaue hinein“. Auch die Ankündigung der Ehefrau, Mollath etwas „anhängen“ zu wollen, führte nicht zur Wiederaufnahme. Die Äußerung bedeute nicht zwingend, dass der Vorwurf, Mollath habe sie gewürgt, erfunden sei.

Gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg hatten die Anwälte Mollaths wie auch die Staatsanwaltschaft postwendend Beschwerde eingelegt. Beide Seiten haben ihre Beschwerde aber noch gar nicht begründet. Deshalb ist es sehr überraschend, dass das OLG Nürnberg jetzt schon – kaum zwei Wochen später – entschieden hat.

Der Pressesprecher des OLG Nürnberg erklärte die Schnelligkeit mit zwei Argumenten: Zum einen habe das OLG den Sachverhalt aus früheren Verfahren bereits gekannt und musste sich nicht mehr einarbeiten. Zum anderen musste man nicht auf die Begründungen der Beschwerden warten, weil Verteidigung und Staatsanwaltschaft hier ja keine Widersacher seien, sondern beide für eine Wiederaufnahme plädierten.

Das OLG äußerte sich auch nur zu einem einzigen Wiederaufnahmegrund. Der aber war erfolgreich. Das ärztliche Attest, mit dem 2006 die Verletzungen von Frau Mollath festgestellt wurden, sei eine „unechte Urkunde“ gewesen. Die Untersuchung und die Unterschrift habe der (medizinisch ausgebildete) Sohn der Ärztin vorgenommen, deren Briefkopf das Attest trug. Das Kürzel „i. V.“ (in Vertretung) in der Unterschrift sei nur „mit übermäßiger Vergrößerung“ sichtbar gewesen.

Da somit bereits eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen war, ließ das OLG alle übrigen Gründe ungeprüft. Es sagte also nichts zu den Rechtsbeugungsvorwürfen und den neuen Zeugenaussagen.

Als Konsequenz aus der Wiederaufnahme musste Mollath sofort freigelassen werden, da so das Urteil von 2006 – inklusive Einweisung in die Psychiatrie – seine Rechtskraft verlor.

Die Vorwürfe der Körperverletzung und der Sachbeschädigung werden nun vor dem Landgericht Regensburg neu geprüft. Dabei darf sich die Lage für Mollath aber nicht verschlechtern, so die Vorgabe der Strafprozessordnung. Das heißt: Mollath muss im neuen Verfahren auf jeden Fall wieder freigesprochen werden. Fraglich ist nur noch, ob er erneut in die Psychiatrie eingewiesen wird oder ob dafür kein Grund besteht. CHRISTIAN RATH