„Die Amerikaner wollen wissen, was Merkel ausheckt“

SPIONAGE Das Kanzleramt weiß seit Langem von den Möglichkeiten der USA-Spitzel, sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eeenboom. Schon in den 50ern gab es CIA-Spione im Kanzleramt. Bei heutigen Aktionen gehe es ganz klar um die Inhalte der Gespräche. Denn mit wem die Kanzlerin rede, sei bekannt

■ Der 60-Jährige ist Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim. In den 1990er Jahren wurde der Geheimdienstexperte selbst vom BND überwacht.

taz: Herr Schmidt-Eenboom, hat Sie überrascht, dass Angela Merkels Handy von US-Geheimdiensten abgehört wurde?

Erich Schmidt-Eenboom: Nein, in keiner Weise. Schon zu Beginn der Snowden-Enthüllungen gab es erste Hinweise darauf, die von der Bundesregierung abgebügelt wurden. Diese Beschwichtigungspolitik fällt Merkel jetzt auf die Füße. Sie muss nun indirekt eingestehen, dass alle geheime Regierungskommunikation, auch die aller Kabinettskollegen, von der NSA erfasst und aufgezeichnet werden kann.

Warum empört sich die Kanzlerin erst, wenn sie unmittelbar selbst betroffen ist?

Das ist eine ganz deutliche politische Strategie. Sie wollte das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten und hat Kanzleramtsminister Pofalla instrumentalisiert, um das Thema totzumachen, was natürlich angesichts der ständig neuen Enthüllungen ganz unmöglich ist. Deshalb ist der Zeitpunkt jetzt eigentlich gut, in die Gegenwehr zu gehen, da es gerade auch in Frankreich große politische Empörung gibt.

Wie könnte eine solche Gegenwehr aussehen?

Bereits vor drei Jahren hatten die Amerikaner ein No-Spy-Abkommen angeboten, für das der französische Geheimdienst einen Entwurf ausgearbeitet hatte. Zwar ist dieser konkrete Vorstoß damals noch direkt an Präsident Obama gescheitert. Aber er zeigt, dass Vereinbarungen grundsätzlich möglich sind.

Inwieweit spioniert Deutschland eigentlich selbst?

Spionage gegenüber Verbündeten mit funkelektronischer Aufklärung findet so gut wie nicht statt. Der BND konzentriert sich sehr stark auf seine Kernaufgaben: militärische Aufklärung in Einsatzgebieten der Bundeswehr, Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität. Er hat die Verbündeten durch offene Aufklärung und Austausch von Informationen mit Partnerdiensten im Auge. Deshalb hat der BND natürlich ein Lagebild über die Kapazitäten der NSA, und das Kanzleramt ist längst gewarnt.

Also ist diese Form der US-Spionage nichts wirklich Neues?

Nein. Schon der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, stand im Visier. Wir wissen aus freigegebenen Dokumenten im amerikanischen Nationalarchiv, dass schon in den 50er Jahren abgehört wurde und die CIA Spione im Kanzleramt platziert hat.

Aber, wie Regierungssprecher Steffen Seibert es formulierte, wir sind doch nicht mehr im Kalten Krieg?

Nein, aber das Ende des Kalten Krieges hat zwar die Prioritäten der Nachrichtendienste nachhaltig verschoben. Das Interesse an Deutschland ist aber nicht verschwunden. Denn gerade die Verbündeten sind für die Vereinigten Staaten in ihrem Handeln sehr politikrelevant.

Wieso das?

Wir haben eine Menge an wirtschaftlichen und kulturellen Sonderbeziehungen zu China, die den Amerikanern durchaus ein Dorn im Auge sind. Auch hatten wir über Jahre hinweg sehr enge Beziehungen zu Russland, enger als die meisten anderen europäische Staaten. Und besonders der energiepolitische Bereich interessiert die USA. Der aktuell wichtigste Grund ist die herausragende Rolle, die Deutschland in der Bewältigung der internationalen Finanzkrise spielt. Da wollen die Amerikaner schon im Vorfeld wissen, was Frau Merkel und Herr Schäuble da aushecken.

Haben wir eigentlich Erkenntnisse darüber, welche Informationen von Frau Merkels Handy abgehört wurden?

Ich gehe davon aus, dass es um die Inhalte geht. Denn Kontaktdaten braucht man für Profile nach altem Prinzip: also wer kennt wen, wer kommuniziert mit wem. Das weiß man bei Frau Merkel. Bei ihr geht es ganz eindeutig um die Gesprächsinhalte.

INTERVIEW: INES POHL