„Es darf keinen Kompromiss beim Grundrecht auf Asyl geben“

INTERVIEW Der grüne Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin lehnt eine Verknüpfung von mehr Geld zur Flüchtlingsbetreuung gegen weniger Asylrecht ab

■ 60, ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister.

taz: Herr Trittin, seit Montag kursiert in Ihrer Partei ein Appell gegen einen Asylkompromiss mit der Bundesregierung – es gibt schon mehr als 1.000 Unterschriften. Stehen Sie auch auf der Liste?

Jürgen Trittin: Nein, ich habe nicht unterzeichnet. Das mache ich aus alter Tradition nicht. Das würde bei mir sofort als Unbotmäßigkeit gegenüber der aktuellen Führung gelten.

Was halten Sie von der Forderung, dass die Grünen keinem Kompromiss zustimmen, der Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt?

In der Sache ist dieser Aufruf völlig richtig. Das Grundrecht auf Asyl war einer der Punkte, bei dem die Grünen schon 1993 sehr klar Farbe bekannt haben – obwohl vor zwanzig Jahren etwa dreimal so viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Ich war damals als Minister in Niedersachsen zuständig für die Unterbringung der Flüchtlinge. Die Probleme waren beachtlich größer als heute. Wir haben uns damals dennoch dagegen gewehrt, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen – worauf die Kategorie der sicheren Herkunftsländer de facto hinausläuft.

Warum ist dieses Thema für Ihre Partei bis heute identitär?

Wir sind beim Asylkompromiss 1993 der Meinung gewesen, diese Probleme muss man anders lösen als durch das Herumschrauben an Grundrechten. Deshalb hat Niedersachsen dem Kompromiss des eigenen Ministerpräsidenten auf Druck der Grünen im Bundesrat die Zustimmung verweigert. Die sicheren Herkunftsländer sind doch nichts anderes, als dass Deutschland sagt: Dort kann nicht sein, was nicht sein darf.

Würde sich durch eine Einstufung der drei Länder als „sicher“ an der Verfahrenspraxis etwa für Roma viel ändern?

Nein, die Bundesregierung räumt ja selbst ein, es würde kaum eine Verfahrensbeschleunigung bringen. Dafür erklärt man aber Länder wie Serbien einfach so zu Staaten, die korrekt mit ihren Minderheiten umgehen. Das stimmt mindestens für die Roma in diesen Ländern nicht. Und Serbien ist auch kein Land, wo Schwule und Lesben sicher leben. Das heißt: Man bekommt zwar keine Entlastung in der Sache, segnet aber Zustände ab, die menschenrechtlich nicht akzeptabel sind.

Sichere Herkunftsländer sind für die Grünen also grundsätzlich nicht verhandelbar?

Ich halte es für richtig, dass wir überlegen, wie man Kommunen und Länder entlastet. Aber es darf keinen Kompromiss geben, der den Gemeinden nicht die Erleichterung bringt, die sie eigentlich brauchen, und der eine nicht akzeptable Menschenrechtssituation für nicht existent erklärt.

Auch bei den Grünen findet man die umgekehrte Argumentation: Wenn es sowieso nur um zehn Minuten kürzere Verfahren geht, sollte man sich auf den Deal einlassen – und der Union Verbesserungen für Tausende anderer Flüchtlinge abringen.

Mit der Großen Koalition muss man ganz anders reden. Sie hat ein massives Interesse daran, dass dieses Problem gelöst wird. Dafür braucht sie die Länder. Deswegen muss man ihr klarmachen, was nicht geht, und das sind die sicheren Herkunftsländer. Da hat Rheinland-Pfalz recht. Und es ist richtig, klar zu sagen: Wir wollen uns dem Problem widmen, aber Kompromisse gibt es immer nur innerhalb der Linien, die beide Seiten ziehen.

Wo wären die Grünen denn überhaupt kompromissbereit?

Die Lösung besteht in vernünftigeren Verfahren und zusätzlichem Geld für die Kommunen. Das muss man mit der Bundesregierung verhandeln. Warum ich dafür am Grundrecht auf Asyl herumschrauben muss, erschließt sich mir nicht.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER