Die Entdeckung der Freiheit

IDEEN Veggie Day ist glücklich beerdigt. Nun wollen sich die Grünen grundsätzlicher über Fragen der richtigen Haltung, Tonlage und Stoßrichtung verständigen

HAMBURG taz | „Ob jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht, ist uns herzlich egal.“ Der Satz, den die Mehrheit der Delegierten gleich am Anfang des Hamburger Parteitags abgesegnet haben, klingt banal – doch er fasst einen monatelangen Findungsprozess der Grünen zusammen. Und er beerdigt eine Idee aus dem Wahlkampfsommer 2013, von der wohl niemand gedacht hätte, dass sie die Partei so lange umtreiben würde.

„R.I.P. Veggie Day“ morst ein Landeschef der Grünen erleichtert auf Twitter. Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit die Bild-Zeitung den Veggie Day im Wahlkampf großgemacht hatte, und der Gemüsetag ist längst zu einem Platzhalter geworden für viel grundsätzlichere Fragen bei den Grünen – nach der richtigen Haltung, nach Tonlage und Stoßrichtung. Auch wenn die ganz große Richtungsdebatte ausgefallen ist, weil sich die hessischen Realos mit dem Rest der Partei auf ein Konsenspapier verständigten, wird deutlich, wie stark der Diskussionsbedarf ist. Als „Verbotspartei“ angegriffen, entdecken die Grünen sich nun als „Freiheitspartei“ wieder. Das F-Wort geistert durch Papiere und Reden – auch in Hamburg. Freiheit heiße eben nicht, den Menschen vorzuschreiben, wie sich zu ernähren hätten, sagt Parteichef Cem Özdemir. „Wir Grünen sind ganz sicher nicht die besseren Menschen.“

Was grün ist

Natürlich wolle seine Partei die Agrarwende (siehe Kasten). „Für jedes Schwein“, ruft Özdemir, „muss es ein Leben vor dem Schnitzel geben.“ Aber das könne man auch erreichen, ohne den Leuten Vorschriften zu machen.

Dass die Freiheitsdebatte an entscheidende Fragen rührt, wird spätestens klar, als der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs ans Mikro tritt. Kretschmann zitiert die Philosophin Jeanne Hersch: „Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung.“ Die Politik der Grünen „als Wirtschaftspartei“, sagt Kretschmann, müsse einen Ordnungsrahmen für soziales und ökologisches Wirtschaften setzen. Aber die Partei solle endlich loskommen vom „Sound“ der Bevormundung – auch gegenüber der Industrie. „Wir müssen den Unternehmen nicht dauern beibiegen, was grün ist“, warnt der Ministerpräsident. „Doch!“, brüllt jemand aus dem Saal.

„Heillos naiv“ sei Kretschmanns These von den grün umgepolten Unternehmen, entgegnet der Bundestagsabgeordnete Sven Kindler. Porsche oder der Saatgut-Konzern Monsanto seien für ihn keine Partner. Und der Europaabgeordnete Sven Giegold sagt, fast alle großen Erfolge hätten die Grünen gegen die Wirtschaft erstritten. „Man darf als Grüner sehr wohl deutlich sagen, dass wir dabei sind, den Planeten zugrunde zu richten.“

Die Grünen sollten jetzt bitte auch nicht alle politischen Forderungen „unter das Label der Freiheit pressen“, warnt Robert Habeck, der stellvertretende Ministerpräsident Schleswig-Holsteins. Sonst erreiche man am Ende schon wieder das Gegenteil dessen, was man wolle – und komme als überheblich rüber.

Schließlich hätten die Grünen als Partei einen „gewissen Hang zur moralischen Überheblichkeit und Impertinenz“. Das sei charakteristisch für Minderheiten. Aber die Grünen seien in vielen Bundesländern doch längst Regierungspartei, in ganzen Politikbereichen „hegemonial“. Deshalb könne die Partei „von mir aus aufhören, darüber zu reden“. Auch die Anträge zur Freiheitsdebatte zeigten doch: „Wir sind damit durch!“ Da jubeln ihm viele Basis-Grüne zu. Endlich, endlich hat es einer gesagt.

ASTRID GEISLER