„War witzig. Gequiekt wie ein Schwein“

SKANDAL In Hannover soll ein 39-jähriger Bundespolizist Flüchtlinge misshandelt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt

Der Fall: Im vergangenen Herbst geriet ein Flüchtlingsheim in Burbach in Nordrhein-Westfalen in die Schlagzeilen, als Übergriffe gegen die Bewohner durch Wachpersonal und Sozialbetreuer bekannt wurden. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie Wachleute Flüchtlinge misshandelten und quälten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen 50 Personen.

Der Vorwurf: Den Beschuldigten werden Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung an den Bewohnern der Notunterkunft in Burbach vorgeworfen.

Die Beschuldigten: Ermittelt wird gegen das damalige Wachpersonal sowie gegen Sozialbetreuer, den ehemaligen Heimleiter und den Geschäftsführer des Betreibers European Homecare. Zudem wird gegen zwei Angestellte der Bezirksregierung Arnsberg ermittelt, die von den Übergriffen gewusst haben sollen und dennoch untätig blieben. Auch gegen Polizisten wird ermittelt.

Bisherige Konsequenz: Dem Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtung, European Homecare, wurde nach Bekanntwerden des Skandals die Heimleitung entzogen. (hel)

VON REIMAR PAUL

GÖTTINGEN taz | Am 19. März 2014 kontrollieren Bundespolizisten nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) im Hauptbahnhof Hannover einen jungen Mann aus Afghanistan. Der damals 19-Jährige kann sich nicht ausweisen, die Beamten nehmen ihn mit zur Wache. In der Zelle wird der Flüchtling massiv misshandelt. Das ergibt sich dem NDR zufolge aus einer WhatsApp-Nachricht, die vom Handy des beschuldigten Polizisten verschickt wird: „Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot“, heißt es darin in schlechtem Deutsch. „Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.“

Gut sechs Monate später, am 25. September, trifft es laut NDR einen 19-Jährigen aus Marokko mit Duldungspapieren, der von der Bundespolizei ohne Fahrschein aus einem Regionalzug geholt wird. In seinem Strumpf soll eine geringe Menge Marihuana versteckt gewesen sein. Auch er kommt in Gewahrsam. Ein angeblich mit dem Handy des Beamten aufgenommenes Foto zeigt den Mann an den Händen gefesselt, in gekrümmter Haltung auf gefliesten Boden, Kopf und Oberkörper sind an die Wand gepresst. Am Bildrand erkennt man Stiefelspitzen – offenbar sind ein oder mehrere Beamte anwesend. „Das ist ein Marokkaner“, zitiert der NDR. „Den habe ich weiß bekommen. (xy) hat gesagt, dass er ihn oben gehört hat, dass er geqikt hat, wie ein Schwein. Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. vom Boden.“

Das hat offenbar Methode. Ein Beamter aus der Dienststelle berichtet dem Sender anonym von einem weiteren, ein Jahr zurück liegenden Vorfall, in den wieder derselbe Polizist verwickelt sein soll. „[…] Das Mett war schon grün, also erkennbar verdorben. Als er das Mett aus dem Kühlschrank holte, sagte er, er wolle etwas ‚Gutes‘ tun, er sei halt ein ‚Menschenfreund‘. Der Tonfall machte klar, dass er das ironisch meinte. Und dann wurden wir aus dem Raum gebeten. Ich gehe davon aus, dass er das Schweinemett dann tatsächlich verabreicht hat.“

In der vergangenen Woche erstatten zwei Personen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Hannover. Die lässt am Freitag das Haus des Beschuldigten und seinen Schrank auf der Wache durchsuchen. Die Ermittler stellen Beweismaterial sicher, darunter Datenträger und eine private Waffe. Der Beschuldigte bleibt auf freiem Fuß. „Wir ermitteln wegen des Anfangsverdachts der Körperverletzung im Amt und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Sollten sich die Anschuldigungen als wahr erweisen, „wäre das ein Vorwurf, der sicherlich doch sehr bedenklich und einmalig wäre“. Die Staatsanwaltschaft will nun die namentlich bekannten Opfer ausfindig machen und weitere Zeugen befragen. Das Bundesinnenministerium sagt Unterstützung bei den Ermittlungen zu. Die Vorwürfe der Misshandlung seien „gravierend“, sagt ein Sprecher in Berlin.

Während sich die Bundespolizei mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht weiter äußern will, zeigt sich der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Niedersachsen, Ulf Küch, entsetzt. Er nennt den Vorgang „Misshandlung von Schutzbefohlenen“. Schlimmste Straftatbestände könnten verwirklicht sein: „Der Auftrag lautet Schutz und nicht Folter.“ Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, verlangt die Einrichtung von Videokameras im Polizeigewahrsam.

„Der ganze Sumpf muss offen gelegt werden“, sagt Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. In einer hierarchischen Polizeiorganisation stelle sich die Frage, ob und inwieweit die Vorfälle Vorgesetzten bekannt waren. Thomas Bliesener vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen geht aufgrund der Handynachrichten davon aus, dass andere Beamte zumindest von den Taten wussten, ihnen aber ein Unrechtsbewusstsein fehle: „Der Täter wähnt sich im Konsens mit Gesinnungsgenossen.“ Die Staatsanwaltschaft prüfe nun, „ob auch andere Beamte davon gewusst oder sogar mitgewirkt haben“.