BERLINER pLATTEN
: Stahlblaue Klangflächen gegen heimelige House-Musik: Kühl-warme Tanzmusiken mit den Märtini Brös und Ian Pooley

Zugegeben, die Jahreszeit bietet sich aktuell nicht gerade an für einen durchtanzten Abend im Club. Verschwitzt ist man ja schon von ganz allein. Aber wenn Musik kühlen könnte, dann die der Märtini Brös. Auf „The MB Factor“ funkeln – wie von dem Berliner Duo gewohnt – stahlblaue Synthesizer-Flächen. Auch die darunter pluckernden Beats sind zwar tanztauglich, aber ebenso geeignet für die Chillout-Zone. 19 eigene Tracks haben Mike Vamp und Clemens Kahlcke alias DJ Clé zu einem Mix zusammengestellt. Davon allerdings sind nur sechs eigens neu für dieses Album aufgenommen: So wird „The MB Factor“, obwohl gerade mal das dritte Album der beiden, auch zu einer Werkschau.

Die allerdings kommt gerade richtig, feiern die Märtini Brös doch ihr zehnjähriges Bestehen. Nun ist also noch einmal nachzuhören, wie zielsicher die Brüder das Niemandsland zwischen cooler House-Party und Mayday-Massenrave zu finden in der Lage sind. Mit diesem Ansatz sind sie mitunter zwar zwischen den Stühlen sitzen geblieben, haben aber doch meist jene Clubgänger prima unterhalten, denen die allseits grassierende Minimal-Mode dann doch, äh, zu minimalistisch war und ist. Die Märtini Brös verfolgen da eher den gegenteiligen Ansatz: Ihre Tracks sind mitunter sogar zu kleinteilig und detailverliebt. Ansonsten aber ist ihnen halt vor allem nichts heilig, schon gleich gar keine Vorgaben der Puristen. Poppiger Gesang darf ebenso sein wie durch den Computer gejagte Stimmen, monotones Geblubber wird aufgelockert durch funky Ausflüge, akustische Instrumente ebenso eingesetzt wie obskure Elektronik: Alles ist möglich, vieles wird sogar bewusst humorvoll eingesetzt, aber trotzdem wirkt „The MB Factor“ wie aus einem Guss. Das spart zumindest schon mal den Plattenaufleger bei der nächsten Party.

Wenn man trotzdem einen DJ braucht, könnte man zum Beispiel Ian Pooley buchen. Der seiner Mutter unter dem Namen Ian Christopher Pinnekamp bekannte Wiesbadener gilt seit Jahren als einer der Besten seines Fachs und lebt nun seit einigen Jahren in Berlin. Auf „In Other Words“ ist er gar nicht so weit entfernt von den Märtini Brös, auch wenn seine Tracks viel konsequenter einer einzigen Idee folgen. Der klassische House hat es ihm nach wie vor angetan, mit souligen Samples und weichen Bässen malt Pooley eine unglaublich warme, fast schon heimelige Stimmung, die eindeutig gegen den hierzulande sonst so typisch technoiden Klang gerichtet ist. Durch dieses tanzende Wohnzimmer zieht er mächtige Melodiebögen, lässt ein paar wenige Signatur-Vocals aufsteigen und befeuert das ganze durch unglaublich dichte Rhythmen. Als einzige Erweiterung seines fast schon spartanischen Deep-House-Ansatzes leistet sich Pooley die bei ihm mittlerweile selbstverständlichen Ausflüge nach Brasilien. Doch im Vergleich zu seiner südamerikanischen Coming-out-Party, dem acht Jahre alten Album „Since Then“, ist dieser Einfluss nur mehr eine Ahnung, ein Rauschen im Hintergrund, ein sanftes Schwappen der Wellen am Ufer. Und an dem möchte man ja sowieso momentan am allerliebsten sitzen. THOMAS WINKLER

Märtini Brös: „The MB Factor“ (Poker Flat/Rough Trade) live Sa. „Sommer Safari“ Arena

Ian Pooley: „In Other Words“ (Ministry of Sound/Edel)