Extrem dehnbar: Bei BerlinskiBeat und The Mouse Folk wird die Folklore neu definiert

Das, was schon dem Rock und erst recht dem Pop passiert ist, das ist vor geraumer Zeit auch der Genrebezeichnung Folklore widerfahren: Sie hat sich als extrem dehnbar entpuppt. Wie viel die Folklore – oder die englische Entsprechung Folk – mittlerweile zu vertragen versteht, das führen BerlinskiBeat und The Mouse Folk exemplarisch vor.

Auf ihrem Debütalbum „Gassenhauer“ verarbeiten BerlinskiBeat alle Einflüsse aus den Ländern, aus denen die siebenköpfige Besetzung stammt: Der Trompeter ist Tscheche, der DJ aus Bosnien, der Dudelsackspieler kommt aus Polen und der Tubaspieler aus Deutschland. Sogar die Rhythmusgruppe ist ethnisch geteilt: Perkussion und Schlagzeug stammen aus Ost- und Westberlin. Entsprechend vielfältig die Musik: Balkan-Beats und Gypsy-Melancholie, stumpfes Berliner Techno-Brett und lustige Hoppel-Beats, das alles nur zusammengehalten von einer rotzigen Punk-Attitüde.

Im Angebot sind zusätzlich schottisches Gedudel, Schlangenbeschwörer-Harmonien und schwerfällig rollende Dancehall-Beats, so dass die Berlin-Hymne „Heimweh“ ein wenig sogar an Seeed erinnern, die dieser Stadt mit „Dickes B“ ja ebenfalls ein Denkmal gesetzt haben. Diese vielfältigen Einflüsse bekommen BerlinskiBeat nur mit viel Enthusiasmus, einem gesunden Vertrauen auf die Postmoderne und ziemlich rüden Rhythmuswechseln, von denen meist mehrere in jedem Lied verteilt sind, unter einen Hut.

Und mit einem Gesang, der ganz auf Lokalkolorit setzt: Entweder wird in den verschiedenen Herkunftssprachen gesungen oder – als Konsens – in breitestem Berlinerisch. Dann reimt sich „in den Billichmarkt geloofen“ auf „eene Pulle vom Feinsten koofen“ und „eene Molle, een Korn“ auf „noch mal von vorn“. Die Themen sind allerdings eingeschränkt: Wenn es nicht um Alkohol geht, geht es meist um Frauen, die hier artgerecht „Miezen“ heißen. Wenn es nicht um Alkohol oder Frauen geht, dann geht es immerhin um ein Thema, mit dem sich BerlinskiBeat gut auskennen: um BerlinskiBeat.

Falls auch The Mouse Folk zur Selbstbeweihräucherung neigen, dann haben sie diese auf „Handle With Care“ besser versteckt. Allerdings verfährt das Sextett mit dem Folk – zumindest strukturell – nahezu so respektlos wie die Kollegen von BerlinskiBeat mit der Folklore. Zwar gibt es noch die akustischen Gitarren und die unaufgeregten Melodien, die einen hübschen, harmlosen Folk-Pop ausmachen. Den aber versetzen The Mouse Folk mit dem einen oder anderen elektronischen Beat, der sich sogar in Richtung Dancefloor aufmacht. Dieser Ansatz ist zwar auch nicht eben neu, wird hier aber doch noch einmal sehr schön vorgeführt.

Während The Folk Mouse sich nicht so recht zwischen Electronica und Folk entscheiden wollen, verlieren sie aber doch nie die Contenance und Stilsicherheit. Von der Spinnertheit von CocoRosie oder anderer Weird-Folk-Vertreter sind sie noch weit entfernt. Stattdessen werden hier mit allergrößter Ruhe ein paar Genregrenzen ausgedehnt.

THOMAS WINKLER

■ BerlinskiBeat: „Gassenhauer“ (Berlin Beat/Edel), live am 18. 8. bei der Völkerball Party im C-Club

■ The Mouse Folk: „Handle With Care“ (Mikrokleinstgarten/Cargo) live am 18. 8. im Brunnen 70