Wehrpflicht? Weggetreten!

KÄMPFEN In rasender Geschwindigkeit hat sich die Union von der Wehrpflicht verabschiedet. Es war ein Sieg der Taktik über ein scheinbares Herzensthema der Konservativen

Ganz so emotional aufgeladen ist das Thema Wehrpflicht für die Union doch nicht

VON GORDON REPINSKI

Wenn bis vor wenigen Wochen Politikerinnen und Politiker der Union über die Wehrpflicht sprachen, ging es gefühlt mindestens um die Existenz des Vaterlandes. Oder um den Fortbestand der nationalen oder einer sonstigen unverzichtbaren Identität. „Unsere Bundeswehr ist eine Armee der Söhne und Töchter“, mahnte die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. „Die Wehrpflicht ist ein Stück Identität der Union“, so ihr saarländischer Amtskollege Peter Müller.

Ebenso bedeutungsschwanger argumentierten die CSU-Kollegen: Als nicht weniger als „den entscheidenden Eckstein für die Verwurzelung der Bundeswehr in der Bevölkerung“ bezeichnete Verteidigungsexperte Johannes Hintersberger die Wehrpflicht. Und Parteichef Horst Seehofer sagte, mit dem Ende des Dienstes hätte Deutschland „viel zu verlieren“.

Verwundert reibt man sich nun die Augen, da aus derselben Union wenige Wochen später völlig andere Signale gesendet werden: Ohne Diskussion hat am Montag die Debatte zur Wehrpflicht-Aussetzung, die Verteidigungsminister zu Guttenberg angestoßen hatte, den CDU-Vorstand passiert. Und am Wochenende hatte Horst Seehofer einer Aussetzung der Wehrpflicht plötzlich zugestimmt.

Und nicht nur das: Seehofer setzte sich von der Position des mahnenden Verantwortungspolitikers mit Wucht an die Spitze der Bewegung gegen die Wehrpflicht. Er sagte sinngemäß, wer die Wehrpflicht aussetze, könne sie auch gleich abschaffen.

Diese auf den ersten Blick erstaunliche Wendung hat ähnlich wie das eindeutige Votum des CDU-Bundesvorstandes einen einfachen Grund: Ganz so emotional aufgeladen ist das Thema für die Union doch nicht. Zumindest steht es weit hinter einigen grundlegenden polittaktischen Überlegungen zurück.

Etwa im Fall Horst Seehofer: Der bayerische Ministerpräsident ist ungern auf der Verliererseite. Doch sein Verteidigungsminister hatte sich darauf festgelegt, die Wehrpflicht auszusetzen, auch die FDP. Und die Opposition ohnehin. Seehofer schwante, dass er seine Position nicht würde durchsetzen können. Also änderte er sie. Dass er mit seinem Vorschlag, die Wehrpflicht abzuschaffen, gleich noch einen drauflegte, sorgte dann selbst in der eigenen Partei für spürbares Unverständnis.

Ungeklärt ist bis heute, ob Seehofer auch Zusagen bekommen hat, dass in Bayern keine oder wenige Kasernenstandorte geschlossen werden – dies war Seehofer mindestens so wichtig wie die innere Verfassung der Bundeswehr.

Auf Seiten der CDU war die Lage noch einmal anders: Dort stellte die Partei auf einmal fest, dass in der Bevölkerung das Thema Wehrdienst weit weniger zu emotionalisieren schien als erwartet. Und zusammen mit der Macht der Fakten – der nicht mehr gegebenen Wehrgerechtigkeit in Deutschland – wurde der Widerstand gegen die Pläne des Verteidigungsministers fallengelassen.

Bemerkenswert ist, dass sich weite Teile der Union bei dem Thema derart verschätzt haben – bei der Stimmung der Bevölkerung und in Bezug auf das politische System. Dem CSU-Überflieger Karl-Theodor zu Guttenberg hätte mancher Unions-Kollege eine Niederlage gewünscht – stattdessen fährt er seinen vielleicht größten Erfolg ein. Denn dass die Wehrpflicht nun faktisch abgeschafft wird, ist eine kleine Sensation.

Für zu Guttenberg ist es die Bestätigung, mit seiner auf schöne Bilder ausgerichteten Politik den Nerv der Bevölkerung zu treffen und sich mit seiner irrealen Beliebtheit den Raum für derart schwerwiegende Entscheidung geschaffen zu haben.

Der überwiegende Teil der Union sollte sich jedoch spätestens am Beispiel dieser Diskussion Gedanken um die eigene Politik machen: Zuerst werden offensichtliche Fakten verdrängt, dann halbherzig patriotisch argumentiert und schließlich werden diese Argumente über Bord gekippt, weil mit dem Thema offenbar nicht zu punkten ist. Für die steigende Distanz von Politik und normaler Welt gibt es in den vergangenen Wochen wohl kein eindeutigeres Beispiel.

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