DIE KLEINE WORTKUNDE

Nicht nur beim Gehalt, auch bei der aktuellen Integrationsdebatte spielt dieses kleine Wort überraschenderweise eine Rolle. Immer wieder ist dort von „Netto-Abwanderung“ die Rede. Da fordert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, „jährlich 500.000 Menschen netto mehr im Land“. Warum um Himmels willen netto? Geht es nicht um Menschen statt um Zahlen?

Viele schmeißen ja durcheinander, was nun netto und was brutto ist. Zur Erinnerung: Brutto kommt aus dem Italienischen und bedeutet so viel wie „hässlich“ oder „mit Verpackung“. Netto, ebenfalls aus dem Italienischen, steht für „rein“ oder „ohne Verpackung“. Für das Gehalt heißt das absurderweise, dass der Betrag vor Steuerabzug, den man nie in seiner vollen Schönheit einkassiert, als hässlich gilt.

Aber geschenkt. Doch was bitteschön soll eine „Netto-Abwanderung“ sein? Sagen wir, ein Mensch zöge von Deutschland in die Türkei. Wie viel müsste man von seiner hässlichen deutschen Brutto-Verpackung wohl abziehen, damit er netto wird? Auch wenn diese Frage hier nicht geklärt werden kann, dürfte das Wort heißer Anwärter für das Unwort des Jahres 2010 sein. Auch in den letzten Jahren gab es viele schöne Beispiele entmenschlichter Sprache wie „betriebsratsverseucht“ (2009), „notleidende Banken“ (2008) oder „Humankapital“ (2004). DIA