Kolumne Blagen: Hier isser!

Frischgebackene Eltern wollen gerne alle Welt an ihrem Glück teilhaben lassen. Von kreativ gestalteten Postkarten, Gipsabdrücken und Profilfotos sollten sie trotzdem absehen.

Früher, und ich spreche hier von Zeiten, als es noch Faxe gab und Briefumschläge, die mit Absendeort und -datum gestempelt waren, früher lag manchmal Post in meinem Briefkasten, die die Geburt eines neuen Erdenbürgers anzeigte. Es handelte sich dabei um selbst gebastelte Mitteilungen in Kartenform. Und wenn ich selbst gebastelt sage, dann meine ich das auch so.

Da hatte sich doch tatsächlich jemand hingesetzt und mithilfe von Schere, Papier und Klebstoff eine Geburtsanzeigenkarte verfasst. Auf der einen Seite war sie beschrieben mit einer persönlichen Nachricht und den das Neugeborene betreffenden Basisinformationen, also Name, Geburtstag, -ort und -zeit, Größe und Gewicht. Auf die andere hatten geschickte Hände ein leider meist leicht überblitztes Foto des neuen Familienmitglieds gepappt.

Zu sehen waren da schlafende kleine Trolle, mitunter in farblich nicht perfekt abgestimmten Kissen liegend. Es gab auch eine Premiumversion: Karten, auf denen im Kartoffeldruckverfahren die Fuß- oder Handabdrücke des neuen Erdenbürgers abgebildet waren. So war das damals, liebe Eltern, als wir technisch noch im Pleistozän lebten.

Inzwischen ist das anders. Heute macht es pling im Mailbriefkasten, und ich finde Fotos von Kindern vor, die mich annehmen lassen, dass sich zum Zeitpunkt ihrer Geburt der Himmel geöffnet hat, so mild ist das Licht, in das sie zufrieden blinzeln. Darunter hat ein eiliger Vater in Kleinbuchstaben in seine Tastatur gehackt: "hier isser: philipp emanuel, 3850 g, 51 cm, wir freuen uns." Aha, denke ich dann, so sieht also Freude im 21. Jahrhundert aus: ein Handyfoto mit ner SMS. Herzlichen Glückwunsch!

Auch schön ist die Facebook-Niederkunft. Eine Freundin hatte in diesem heißen, heißen Sommer in ihrer Verzweiflung an die Stelle ihres sehr ansehnlichen Profilfotos ihren Neunter-Monat-Bauch gesetzt. Da hing er nun: oben das T-Shirt unter ein Paar riesige Brüste gequetscht, unten ihr Hosenbund. Das Fanal einer werdenden Mutter, die bei 36 Grad im Schatten ganz offensichtlich kurz vor dem Hitzeirrsinn stand.

Ich und ihre zweihundert Facebook-Freunde durften uns an diesem Anblick erfreuen, ebenso wie an ihrer Pinnwandkonversation mit einer ebenfalls schwangeren Freundin, die das soziale Netzwerk auf eine besonders harte Probe stellte. Die mir persönlich Unbekannte hatte sich entschlossen, einen dieser total gruseligen Gipsabdrücke von ihrem hochschwangeren Torso nicht nur anzufertigen, sondern selbigen auch zu fotografieren und als Profilbild zu verwenden. Schön war das nicht.

Es ist völlig okay, liebe Mütter in spe, wenn ihr euren schwangeren Körper bemalt, betanzt oder bedichtet. Aber bitte behaltet diese sehr persönlichen Eindrücke doch in - beziehungsweise unter - eurem Herzen. Glaubt mir, es kommt die Zeit, da wollt ihr nicht mehr daran erinnert werden! Und ihr, liebe Niedergekommene, packt den sperrigen hellgrauen Gipsabdruck hinten in euren Kleiderschrank, später dann auch den verkrusteten Nabelschnurrest, die erste Locke von Philipp Emanuel und seine Zähne dazu. Und die Plazenta friert ihr vielleicht doch erst mal ein?

Wenn ihr euch ausdrücken möchtet, also den völlig nachvollziehbaren Wunsch verspürt, die Welt teilhaben zu lassen am Wunder der Geburt, dann packt doch den Kleinen in den Kinderwagen, steuert das nächste Schreibwarengeschäft an und erwerbt farbige Karten und Umschläge, eine Schere und Klebstoff. Ich freue mich auf Post.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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