Philosophen in Teheran

LUSTIGES PALAVER Die Proteste im Iran sind niedergeschlagen. Und was plant die Unesco? Eine Gelehrtentagung – zusammen mit dem Regime

Teheran ist auch heute noch ein Ort, an dem Habermas und Hannah Arendt gelesen werden

VON KATAJUN AMIRPUR

Absurder geht es kaum: Ausgerechnet Iran hat den Zuschlag der Unesco bekommen, im November den Kongress zum World Philosophy Day auszurichten. Das Land also, das zurzeit alles Denken bestraft. Das Land also, dem Revolutionsführer Ali Khamenei noch kürzlich bescheinigte, dass Philosophie gefährlich sei – und damit einläutete, dass zukünftig im Rahmen einer weiteren Kulturrevolution sämtliche westliche Philosophen aus den Curricula der Universitäten gestrichen werden. Das Land, in dem Said Hajjarian, den das Regime zuvor zum Krüppel geschossen hat, sich letztes Jahr bei einem Schauprozess dafür entschuldigen musste, mit seinen Studenten westliche Philosophie gelesen zu haben. Das Land, das seinen eigenen größten Philosophen vorwirft, die samtene Revolution geplant und die Jugend verführt zu haben. Verführt wozu? Zum Denken.

Keiner von ihnen wird beim World Philosophy Day sprechen dürfen: Mohammad Shabestari, ein Gadamer und Wittgenstein-Spezialist, ist zwangsemeritiert worden. Mohsen Kadivar, der zurzeit in den USA lebt, wurde zum Ketzer erklärt und kann nicht zurück nach Iran. Auch Abdolkarim Soroush müsste in Iran um sein Leben fürchten, und Ramin Jahanbegloo dürfte vermutlich erneut erleben, was Einzelhaft im Evin-Gefängnis bedeutet, kehrte er zurück. 2006 bei seiner ersten Inhaftierung war ihm der Austausch mit westlichen Philosophen vorgeworfen worden. Er hatte Jürgen Habermas, Richard Rorty und Antonio Negri nach Iran gebracht.

Statt der bekanntesten iranischen Philosophen soll auf dem World Philosophy Day Gholam Hossein Haddad Adel sprechen, der diesen auch organisiert. Haddad Adel gilt als Kant-Spezialist. Aber scheinbar hat das politische Werk Kants bei ihm nur wenig Eindruck hinterlassen. Oder aber für seine persönliche politische Haltung ist ausschlaggebender, dass seine Tochter mit dem Sohn Khameneis verheiratet ist. Haddad Adel wurde nicht nur die ehrenvolle Aufgabe übertragen, den World Philosophy Day auszurichten. Er ist auch dazu ausersehen, besagte neue Kulturevolution durchzuführen. Wer möchte da noch daran zweifeln, dass Iran das richtige Land ist, den World Philosophy Day auszurichten?

Der Journalist Ahmad Zeidabadi, nach den Protesten vom Sommer 2009 mal wieder im Gefängnis, hat den FAZ-Artikel des Philosophen Ottfried Höffe, in dem dieser erklärt, warum er nicht in Teheran sprechen werde, auf seine Facebook-Seite stellen lassen. Die englische Zusammenfassung dieser Begründung liest sich dankbar, dankbar für die Solidarität, die Höffe hiermit gezeigt hat. Will die Unesco sich nicht solidarisieren? Beispielsweise mit den Studenten, die dem Parlamentsabgeordneten Haddad Adel, dem Philosophiedozenten, Sprechchöre entgegenschleuderten wie: „Schäme dich, schäme dich, du Vertreter wider das Volk!“ Und denen dafür damit gedroht wurde, ins berüchtigte Gefängnis Kahrizak geworfen zu werden?

Eine Reihe weiterer Philosophen und Intellektuellen hat sich solidarisiert. Unter ihnen Jürgen Habermas und Seyla Benhabib. Ramin Jahanbegloo hat zusammen mit der Organisation Reset Dialogues on Civilizations ein Protestschreiben an die Unesco gerichtet. Sie werden zusammen mit weiteren iranischen Intellektuellen, die das Regime ins Exil getrieben hat, nächste Woche in New York eine Pressekonferenz abhalten, um noch einmal zu fragen: Gibt es etwas Absurderes als die geplante Unesco-Tagung in Teheran?

Dabei hat allerdings Khamenei mit einem Recht: Philosophie ist gefährlich. Und wenn nicht für Iran, dann für ihn und sein Regime. Philosophie, die westliche, aber vor allem auch die philosophische Mystik des Islams ist heute gerade unter jungen Iranern beliebt, sie wird als eine Form von Widerstand erlebt gegen die politische Ideologie und den religiösen Dogmatismus des Regimes. Teheran ist auch heute noch ein Ort, an dem Habermas und Hannah Arendt gelesen werden. Nur dürfte es im Evin-Gefängnis mehr Philosophen geben als im November auf den Podien des Regimes.