Die Signale der Gewalt

RANDALE Erst kam die Räumung, dann der Krach: Wegen eines Hauses in Berlin gehen in ganz Deutschland Menschen auf die Straße: Krawall,Festnahmen, Verletzte. Im Kulturkampf der Symbole feiert die autonome Szene ihre brachiale Zeichensetzung

Die Polizei sagt, es habe in der Nacht mehr Schäden gegeben als am letzten 1. Mai

AUS BERLIN MARTIN KAUL

Mit überladenen Bildern hatten sie es in der Liebigstraße 14 immer schon. Vermummt, im klandestinen Autonomenchique, das bengalische Feuer schwingend. So inszenierten sich in der Vergangenheit die Hausbesetzer auf dem Häuserdach, wann immer eine Demonstration bei ihnen vorbeizog. Seit Mittwoch sind diese Bilder passé. Das Haus ist geräumt, doch ihre brachiale Zeichensetzung ist geblieben.

Nach der Räumung des umkämpften Berliner Symbolprojekts gingen nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland Demonstranten auf die Straßen. In Hamburg und Berlin kam es zu schweren Ausschreitungen, es soll, sagen die Protestierer, ein neues Zeichen sein: „Schlagt die Bullen, wo ihr sie trefft“ lautet ihre Parole. Und sie ist die Fortführung eines Satzes aus der Liebigstraße. Dort stand es an den Wänden des besetzten Hauses: „Tritt den Bullen ins Gesicht, bis der Schädel bricht.“ Es ist eine Inszenierung der Gewalt, ein Auflaufen mit Wirkmacht. Das schwappt durch die halbe Republik.

Die Nacht zu Donnerstag: 20 Minuten lang demolieren dutzende Autonome in der Berliner Karl-Marx-Allee unbehelligt von der Polizei den Straßenzug. Sie entglasen Bushaltestellen, zerschmettern Glasscheiben von Werbesäulen und die Fassaden einer Galerie. Mit Absperrgittern und Baustellenschildern blockieren sie einspurig die Hauptverkehrsstraße in den Szene-Kiez.

Und das ist die Berlin-Bilanz der Nacht: 82 Menschen wurden festgenommen, 25 von ihnen dem Haftrichter vorgeführt. Schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt wird ihnen vorgeworfen. 36 Beamte wurden dabei in Berlin verletzt. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, dazu konnte die Besetzergruppe zunächst keine Angaben machen. Eines aber ließ sie wissen: Ihre Aktionen – sie sollen weitergehen.

So wie im Berliner Stadtteil Steglitz. Hier steckt noch ein Zimmermannshammer in der Schaufensterscheibe eines Ladengeschäfts. 30 Autonome waren hier randalierend durch die Straßen gezogen, warfen die Schaufenster großer Handelsketten ein und Farbbeutel an die Wände. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ steht auf den Flugzetteln, die sie verteilen.

Damit hat die symbolträchtige Konfliktentwicklung rund um das umkämpfte Hausprojekt in Berlin eine Dimension angenommen, die in der jüngeren Vergangenheit beispiellos ist. „Es gab in der Nacht auf jeden Fall mehr Sachschäden als etwa am letzten 1. Mai in Berlin“, sagt Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch am Donnerstag.

Der symbolträchtige 1. Mai – von Medien, Politikern aber auch Linken immer wieder hämisch als Fun-Event aggressionsbereiter Jugendlicher bespöttelt – hat vielen potenziellen Demonstranten schon längst ausgedient. Doch wenn ein Haus fällt, neun Bewohner rausgetragen werden, dann entsteht ein Flächenbrand?

Von „politisch motiviertem Vandalismus“, „blinder Zerstörungswut“ und „wahlloser Sachbeschädigungen“ redet Berlins Polizeichef Dieter Glietsch. Wer in Berlin in der Nacht vor Ort war, hat gesehen, was er meint.

Wieso entlädt sich wegen eines Hausprojekts, das selbst in der linken Szene immer wieder in der Kritik stand, ein Frust, der sich dann plötzlich in ganz Deutschland entlädt? Auch die linke Szene schaut gebannt auf dieses Phänomen. „Das ist keine Episode“, sagt ein Berliner Autonomer. „Den Mobilisierungseffekt, den früher der Kampf gegen Nazis hatte, kann das Thema Verdrängung heute auch erzielen.“ Tatsächlich: In der Berliner Krawallnacht sind längst nicht nur die Autonomen am Werk.

Auch tausende Sympathisanten, die das Geschehen passiv begleiteten, wimmeln umher, erschweren der Polizei die Übersicht. „Auch im linksbürgerlichen Milieu gibt es ein Unverständnis über die Prenzlauerbergisierung zahlreicher Stadtteile. Es artikuliert sich anders, ist aber zum Teil auch von Verständnis geprägt“, sagt der Berliner Bewegungsforscher Simon Teune. Und das macht nicht an Landesgrenzen halt.

Bremen, Mittwochabend: „Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Häuser besetzen sowieso!“ skandieren 80 Demonstranten vor dem linksliberalen Café „Rotkäppchen“ im Bremer Osttorviertel am Mittwochabend. Und auch die Polizei rückt an. Sie kesselt 20 Demonstranten ein, hält sie eine Weile fest. Es ist ein Solidaritätsprotest mit der Liebigstraße.

Denn immer wieder flackert im Häuserkampf die Flamme des Protestes auch grenzüberschreitend auf. Als in Kopenhagen 2007 ein Haus geräumt wurde, war eine mehrtägige Solidarisierungswelle in ganz Europa die Folge. In Kopenhagen herrschte tagelang politischer Ausnahmezustand. „Es hat sich um die besetzten Häuser europaweit eine Szene entwickelt, für die es nicht nur Symbolcharakter hat, geräumt zu werden. Diese Szene sieht sich in ihrer Existenz angegriffen“, sagt Teune.

Dabei, sagt Teune, gebe es zwischen der Alltagsmilitanz der 80er und 90er Jahre im Vergleich zu heute kaum große Unterschiede. „Es passiert sehr viel Alltägliches, das medial kaum wahrgenommen wird. Eine Hausräumung ist nur der Anlass der Aufregung. Was sonst täglich passiert, liegt schlicht unter der medialen Wahrnehmungsstufe. Wenn diese aber erreicht ist, dann lässt sich damit Politik machen.“ Es ist nicht nur die Politik der Zeichen, auch die der Gewalt.

Die Berliner Veranstaltungshalle „O2-Arena“ ist panzerglasgeschützt. 50 Autonome versuchen, mit Steinen den umstrittenen Mammutbau zu entglasen, erfolglos. Auf der Hauptstraße gegenüber haben zuvor 500 Demonstranten Ampelanlagen demoliert und Lastenanhänger auf die Straßen geschoben, umgeworfen. Einige hundert Meter weiter wurden die Scheiben eines Hotels eingeworfen. Der Verkehr steht still, die Polizei jagt hinterher.

Freiraumtage, Intersquat, so hießen ihre Vorbereitungsveranstaltungen. Mit einem europaweiten Kongress luden Berliner Hausbesetzer im letzten Jahr Gesinnungsgenossen nach Berlin. Ihr Inhalt war der Straßenkampf. Nun hat das Folgen. Auch in Rostock, Saarbrücken, Gießen, Jena, Göttingen gingen in der Nacht zu Donnerstag Menschen auf die Straßen, sie alle für die „Liebig14“.

Hamburg, Schanzenviertel. Spontan gehen am Mittwochabend rund 470 Demonstranten im Hamburger Schanzenviertel auf die Straße, von der Roten Flora hinaus in die Nacht. Blaulicht und Sirenen begleiten sie, es wird ein Straßenkampf. Auf der Reeperbahn zünden sie Papiertonnen an, fünf Scheiben von Bankfilialen gehen zu Bruch. Die Polizei setzt einen Wasserwerfer ein.

Das sind die Protokolle einer Nacht der Bilder der Zerstörung. Die Liebigstraße14 war ein Hausprojekt. Der Kampf ums Erbe ist kein Kiez-Kampf mehr. Es ist ein Kampf auf der Straße, überall. Und dessen Inszenierung – ohne Rücksicht auf Verluste.