Die Zukunft in unserer Hand

VISION Das neue iPhone 5 ist gerade offiziell vorgestellt worden und kann ab nächster Woche wieder noch ein bisschen mehr. Aber können wir noch?

Wir werden so viel mit diesem Computer tun können, dass wir uns wünschen werden, er sei nur ein Telefon

VON JOHANNES GERNERT

Seit ungefähr fünf Jahren schleppen wir jetzt also ständig einen Computer mit uns herum, weil Steve Jobs uns einmal eingeredet hat, es sei nur ein besonders schickes Telefon. Der Computer macht Fotos für uns, er wird zur Landkarte, zur Zeitung, zum Videorekorder, man kann damit im Restaurant bezahlen, man kann sogar mit ihm sprechen, wobei man sagen muss, dass die Sprachsoftware Siri für eine Einjährige einen beachtlichen Wortschatz hat, aber manchmal schwerhörig ist, als wäre sie Neunzig.

Steve Jobs, der Chef der Computerfirma Apple, ist seit mehr als einem Jahr tot, seine Computer sind lebendiger denn je. Gerade ist in San Francisco ein neuer vorgestellt worden. Er heißt iPhone 5 und entspricht dem Schönheitsideal des Facebook-Zeitalters: Dünn und schwer untergewichtig (Mikrochips-Diät), höchst multitaskingfähig (schickt SMS beim Telefonieren), mit einem noch längeren Bildschirm (Phone-Enlargement), einer digitalen Rabattkartensammelstelle (Passbook), einem noch schlankeren Blitz-Ladekabel (Lightning), einer noch schnelleren Internetverbindung (LTE) und noch breiteren Fotos (Panorama).

Wie immer, wenn Apple einen dieser neuen Computer vorstellt, drängelten sich sehr viele Journalisten in eine Halle in Kalifornien hinein, um sekündlich Bilder ins Internet zu schicken, und wie immer nach der iPhone-Premiere 2007 schrieben danach einige, die Revolution sei diesmal ausgefallen.

Auf der Bühne stand Tim Cook, der neue Chef von Apple. Der eigentliche Nachfolger von Steve Jobs aber, würden manche sagen, hatte schon zwei Tage vorher gesprochen. Jack Dorsey hat Twitter mitgegründet und eine Firma namens Square, die sich gerade auf vielen iPhone-Computern in den USA verbreitet, weil man damit in Restaurants und Läden bezahlen kann, indem man einfach nur seinen Namen sagt. Den Rest macht eine App, die die Kreditkartendaten kennt und merkt, wenn man im Laden ist (GPS).

Jack Dorsey redet ein bisschen wie Steve Jobs, also wie jemand, den Helmut Schmidt wegen seiner Visionen zum Arzt schicken würde. Auf einer Technikkonferenz hat Dorsey neulich gesagt, wir bräuchten eine Revolution – zuständig dafür seien die jungen Internetunternehmer. Die Zukunft sei hier, sie sei nur noch nicht gerecht verteilt, zitierte er den Science-Fiction-Autor William Gibson. „Wir müssen die Zukunft verteilen.“

Mit den iPhone-Computern hat uns Steve Jobs die Zukunft 2007 in die Hand gegeben. Es war eine Zukunft, in der man immer überall verortet ist (Google Maps) und über alle Revolutionen sofort Bescheid weiß (Twitter), in der Urlaubspostkarten dreieinhalb Sekunden brauchten (Facebook) und Buchkäufe wenige Klicks (Amazon). Es war eine Zukunft großer Nähe – zu Freunden in aller Welt, aber auch zum Posteingang mit den Büro-Mails. Eine Zukunft, in der man ständig und immer so viel wissen konnte, das man oft nichts mehr wusste.

So war es also bisher. Aber wie geht es nach dem iPhone 5 weiter?

Wir werden unsere Computer noch seltener aus den Augen lassen, wir werden in der Kaffeeschlange stehen, die auch ein Bahnsteig sein kann, ein Fahrstuhl, und Facebook-Mitteilungen lesen, Twitter checken, Mails schreiben. Noch ungeduldiger, noch pushiger als heute.

Wir werden häufiger gegen eine Laterne rennen, schnell noch die Mail weg. Vielleicht auch seltener – „Siri, schreib Dieter über Facebook: Bin gleich da!“ Wir werden Passbook benutzen, um digitale Tickets am Flughafen vorzulegen. Wir werden Siri fragen, was im Kino läuft, und sie bitten, vorher einen Tisch zu reservieren (iOS 6).

Wir werden so viel mit diesem Computer tun können, dass wir uns manchmal wünschen werden, er sei nur ein Telefon und wir könnten einfach nur nachdenken, während wir in der Kaffeeschlange warten.

Und wenn wir nicht ganz doof sind, werden wir merken, dass das geht.